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Clare Hollingworth, First of the Female War Correspondents
Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas
Eine Dokumentation
Chas Kelfeit: Ich kann nicht schweigen
BUMI LAZAR ÜBERLEBEN IN PRESSBURG
Frauenprotest in der Rosenstraße
Muttertag und Mutterkreuz
Der Kult um die »deutsche Mutter« im Nationalsozialismus
Das Ghettotagebuch des Dawid Sierakowiak
- Aufzeichnungen eines Siebzehnjährigen
Viktor E. Frankl...trotzdem Ja zum Leben
sagen
Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager
Alltag unterm Hakenkreuz
Wie die Nazis das Leben der Deutschen veränderten
geh heim und vagiß alles
17jährige hilft nachda befreiung des kz mauthausen
diverse buchauszüge,
zeitungszitate,...
"sie
haben uns nicht zurückgeholt" verlorene intelligenz osterreichische
wissenschaftler 1918-1945
hitler, im stilmittel der bilderbögen (fast comicformat) text friedemann
bedürftig schwarzer, wolf, skin marie
hagemann exit 1neonazi steigt aus,
kent lindahl maus - die geschichte eines
überlebenden, art spiegelman gernot jochheim frauenprotest in
der rosenstraße "gebt uns unsere männer wieder"
geduldet, geschmäht und vertrieben - salzburger juden erzählen
im toten winkel hitlers sekretärin onkl hitler
Die ZEIT vom 17.03.1995 POLITIK Der Umbruch in Europa hat
Österreich erfaßt.; Das alte System bröckelt, eine neues ist nicht in Sicht.;
Rechter Terror erschreckt das Volk.; Die Regierung wirkt ratlos
DIE ZEIT vom 08.12.1995 DOSSIER DER ERREGER AUS DEN ALPEN
Wer ist Jörg Haider - Populist, aggressiver Oppositioneller, ein neuer Hitler?
Die ZEIT vom 24.03.1995 DAS
IST JA WIEDER TYPISCH! Vergeßlichkeit, die - eines der Stichwörter, von denen
die Österreicher... der
verdrängte antisemitismus: fpö: nach alten vorbildern: feindbilda
von einst und jetzt jörgl-jodler: freiheit der kunst: zitiert
aus: hans-henning scharsach, haiders kampf
nicht die braune brut ist die gefahr, sondan das rote gesindel. standard
5.10.1990 zitiert aus: wofür ich mich meinetwegn entschuldige - H-
haider, beim wort genommen, DIE ZEIT vom 24.02.2000 zitate aus Leserbriefen
GRENZT UNS NICHT AUS!
unvollständiges
protokoll historischa aeignisse
"In August 1939, as a daring but inexperienced reporter, Clare Hollingworth sneaked alone over the German border and witnessed the first column of Nazi tanks mobilising to invade Poland. She broke the news of the start of the second world war to both her editor at The Daily Telegraph and the British and Polish authorities.
Hollingworth grew up in England during the first world war, in an era when planes were new technology and middle-class girls were educated only so they could become “lady housewives”.She was set apart by youthful rebellion, early romances and forays into risky travel. (Her honeymoon with her first husband was at an Austrian ski resort where she could overhear gossip by holidaying Nazi officers.) Fuelled by political idealism and wanderlust, she travelled to the continent as an activist. Before she took on her better-known role as a journalist, she had smuggled hundreds, if not thousands, of refugees away from the Nazi threat.
When weeds in her Paris garden irked her, she took a flamethrower to them. She was not a soul destined to stay still" scmp
Of Fortunes and War: Clare Hollingworth, First of the Female War Correspondents
by Patrick Garrett
Thistle Publishing
"Zwei Franzosen, die das Konzentrationslager Mauthausen überlebt
haben - Pierre-Serge Choumoff und Jean Gavard -, haben die Initiative
ergriffen.
Als wichtigste Quelle für die Dokumentation wurden Urkunden aus jener
Zeit selbst herangezogen. Daß dies möglich war, ist dem Umstand
zuzuschreiben, daß die Forderung der Funktionäre des NS-Regimes,
an den Endsieg zu glauben, nahezu bis unmittelbar vor dem endgültigen
Zusammenbruch die Vernichtung von Unterlagen ausschloß. Die
alliierten Sieger fanden daher noch überraschend viel belastendes
Material vor.
Bereits im Planungsstadium hatte man
zur Entwicklung eines geeigneten Tötungsmittels das Kriminaltechnische
Institut (KTI) des Reichskriminalpolizeiamtes eingeschaltet, wo Kohlenmonoxyd
für die geplante Großaktion als am besten geeignet festgestellt
wurde.
Inzwischen war das ehemalige Zuchthaus Brandenburg/Havel als »Euthanasie«-Anstalt
umgebaut worden. Dort fand dann Anfang Januar 1940 eine »Probevergasung«
statt, die aber besser als Demonstrations-Vergasung bezeichnet werden
könnte, da sie im wesentlichen dazu diente, die Vorteile der Vergasung
gegenüber der Benutzung von Giften (Morphium-Scopolamin) zu demonstrieren.
Die »Euthanasie«-Ärzte waren anwesend, auch Dr. Horst
Schumann und Dr. Irmfried Eberl - diese, um als Leiter der beiden ersten
»Reichsanstalten« in Grafeneck und Brandenburg in ihre künftige
Aufgabe eingewiesen zu werden.
Nach dem Eintreffen in der »Euthanasie«-Anstalt
führten Pfleger die Kranken in den Auskleideraum und anschließend
zum Fotografieren. Dann wurden die nackten Patienten nacheinander einem
Arzt vorgeführt. Zweck der »Untersuchung«, die im Durchschnitt
nicht mehr als eine bis drei Minuten dauerte, war es nur, die Identität
der Vorgeführten zu überprüfen und festzustellen, ob eine
»obergutachtliche Entscheidung« vorhanden war. Daneben prüfte
man noch die Staatsangehörigkeit, da Ausländer nicht von der
»Aktion« erfaßt wurden, ferner, ob es sich um Senile
handelte oder um Kranke, die Kriegsauszeichnungen erhalten hatten, da
diese nach den Richtlinien bis zur Entscheidung durch »Jennerwein«
zurückgestellt werden mußten. Im übrigen diente die
ärztliche Untersuchung vor allem dazu, die Kranken zu beruhigen und
sie über die anschließenden Maßnahmen zu täuschen
sowie Anhaltspunkte für eine fingierte Todesursache zu finden.
Nach der »Untersuchung« erhielten die Kranken mit einem Farbstift,
durch einen Hansaplaststreifen oder mit einem Gummistempel eine Nummer
auf den Rücken, die zur späteren Identifizierung dienen sollte.
Als sich später immer mehr Angehörige
von »Euthanasie«-Opfern an die Anstalten wandten, sickerte
durch, daß die Massen der abtransportierten Kranken planmäßig
getötet wurden. Eine Reihe von Anstaltsärzten weigerte sich
daraufhin, die Meldebogen auszufüllen, oder bescheinigte allen Kranken,
bei denen dies auch nur irgendwie vertretbar war, ihre Arbeitsfähigkeit.
In vielen Fällen wurden beurlaubte Kranke nicht mehr in die Anstalten
zurückgerufen oder die Angehörigen heimlich aufgefordert, Patienten
schleunigst nach Hause zu holen. Entlassungen wurden von zahlreichen Anstalten
befürwortet, aber meist »von oben« abgelehnt. So hat
etwa der Sachbearbeiter für das Irrenwesen im württembergischen
Innenministerium, Dr. Mauthe, häufig die Entlassung von Kranken,
die von Anstalten rückhaltlos befürwortet wurde, abgelehnt,
obwohl er nach den Feststellungen des Landgerichts Tübingen berechtigt
gewesen wäre zuzustimmen."
Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas
- Eine Dokumentation
© 1983 S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main ISBN-3-596-24353-X
Nun begannen halb amtliche, halb eigenmächtige Beschlagnahmen
von Waren aller Arten aus jüdischen Geschäften und jüdischem
Besitz. Mit großen Lastwagen eilten SA- und SS-Männer durch
die Straßen, blieben vor den einzelnen jüdischen Geschäften
stehen und forderten mit vorgehaltenen Revolvern die Ausfolgung von Waren.
Ich beobachtete von meinem Geschäfte aus folgende Episode: Ein Lastauto,
besetzt mit fünf uniformierten SA-Leuten fuhr vor, die Mannschaft
sprang aus dem Auto, rissen die Revolver aus ihren Taschen, drei der Leute
gingen von Geschäft zu Geschäft, während die anderen zwei
beim Wagen stehen blieben und die neugierig gewordene Menge anschrien:
Weitergehen, wer stehen bleibt, wird erschossen".
Vor meinem Geschäfte blieb ein
Lastauto der Ankerbrotfabrik stehen, drei SA-Männer kamen zu mir
ins Geschäft und verlangten als freiwillige Spende" zwei
Stücke Matratzengradl und 20 kg Spagat. Wer hatte sich getraut gegen
diesen nachdrücklichen" Wunsch einen Einwand zu erheben?
Sie nahmen sich die Ware gleich, ohne weiter zu fragen, und verschwanden
Aus dem mir benachbarten Warenhaus Schiffmann, welches zu normalen Zeiten
über 100 Angestellte beschäftigte, wurden acht Tage hindurch
die Waren mit großen Lastautos verladen und verschleppt.
Vor dem Warenhaus umlagerten Hunderte
Menschen die riesigen Lastautos. Das Warenhaus wurde ausgeraubt und geschlossen.
Die Inhaber dieses Warenhauses, die vier Brüder Schiffmann, wurden
in sogenannte Schutzhaft genommen und in das Konzentrationslager Dachau
verschleppt. Das Ausplündern des Warenhauses und Aufladen auf den
Lastwagen wurde von Sieg Heil"- und Heil Hitlers-Rufen
begleitet. Im Radio wurde bekanntgegeben, daß zum Polizeivizepräsidenten
von Wien ein gewisser Fitztum
ernannt wurde. Mir stieg das Blut zum Kopf. Dieser Fitztum, der Mörder
meines Cousins Norbert Futterweit am 19. Juni 1933, wird Polizeivizepräsident
einer Weltstadt wie Wien,
und zwar als Belohnung dafür, daß er in feigster Weise gegen
ahnungs- und wehrlose Menschen Bomben geworfen und hiefür zu lebenslänglichem
Kerker verurteilt wurde.
Der Vorfall hat sich folgendermaßen
abgespielt:
In der Meidlinger Hauptstraße 21 befand sich das Juweliergeschäft
des Norbert Futterweit, eines braven, 34jährigen Kaufmannes, Vater
eines damals im neunten Lebensjahre stehenden Kindes, der sich nie im
Leben irgendwie etwas zuschulden kommen ließ, nie einer politischen
Partei angehört hatte und sich im Kriegsjahr 1917 freiwillig zum
Militär gemeldet hat, und als Unteroffizier für seine Heimat
kämpfte. Um 10 Uhr vormittag fuhren eines Tages zwei Burschen auf
Fahrrädern vor, der eine reichte dem anderen ein Paket und dieser
warf dasselbe in den Laden.
Außer meinem Cousin befanden
in diesem Augenblick sich noch eine 17jährige arische Verkäuferin
und ein Uhrenvertreter im Geschäft. Mein Cousin sah aus dem bis an
das andere Ende des Lokals rollenden Paket Rauch aufsteigen, ahnte als
alter Frontsoldat die Gefahr, riß das Paket an sich, um es schleunigst
aus dem Geschäft zu entfernen. Kaum gelangte er mit demselben
an die Türschwelle, explodierte die in dem Paket befindliche Bombe
in seinen Händen und riß ihn in Stücke. Ein älterer
arischer Mann und eine arische Frau wurden ebenfalls getötet, als
sie ahnungslos bei dem Geschäfte vorbeigingen. Die Verkäuferin
erlitt schwere Augenverletzungen
Die Täter flüchteten damals
sofort nach Deutschland, wo sie aufgenommen wurden
Die Täter hießen Fitztum und Glass. Die Bombe wurde von einem
gewissen Globocnig hergestellt. Fitztum wurde Aufseher im Konzentrationslager
in Dachau.
Sofort nach dem Umsturz kamen diese in Deutschland so warm aufgenommene
und als Helden gefeierte gemeinen Verbrecher in der Uniform österreichischer
Legionäre nach Österreich zurück. Fitztum wurde aufgrund
seiner Verdienste" wie erwähnt Polizeivizepräsident,
Globocnig wurde Gauleiter von Wien. Glass erhielt zum Lohn eine chemische
Fabrik, welche einem Juden weggenommen wurde.
Wir
alle werden diese Minuten niemals vergessen können
Wir saßen nun auf den Strohsäcken, hielten die in Zeitungspapier
gewickelten Habseligkeiten unter dem Arm und warteten der Dinge, die unser
harrten.
Keiner von uns hatte weder einen Koffer oder anderes Gepäck, wurden
doch wir alle plötzlich von der Straße weg oder aus dem Bett
geholt und festgehalten. Der Polizeimann verlas nun 29 Namen und sollten
sich diese in Zweierreihen auf dem Korridor aufstellen und auf den Aufruf
warten
Auch ich befand mich auf dieser Liste.
Draußen wurden wir dem Alphabet nach aufgerufen und dem Dr. Lange
vorgeführt
Endlich wurde mein Name aufgerufen und dem Dr. Lange vorgeführt.
Dieser saß, die Zigarre im Munde, mit aufeinandergespreizten Beinen,
zynisch lächelnd, vor einem Stoß Akten und sah mich nicht an,
während er zu mir sprach. Auf dem Tische neben ihm lag ein Revolver.
So, so, zehn Wochen haben Sie Zeit, das ist doch ein Ausnahmsfall",
sagte er
Eines merken Sie sich", sprach er weiter, wenn Sie nach
dieser Zeit noch in Deutschland sind, dann kommen Sie nach Dachau, aber
von dort kommen Sie nie mehr nach Hause"
Ohne daß es die Angehörigen wußten,
wurde der allergrößte Teil der Schutzhäftlinge, es waren
noch 570 Personen im Hause, zeitlich früh zum Westbahnhof gebracht,
von wo aus sie nach dem Konzentrationslager Dachau verschickt wurden.
Zwei meiner Mithäftlinge, ein Rechtsanwalt namens Dr. Lunenfeld und
ein I5jähriger Junge mit dem Namen Schreiber, kamen während
des Transportes ums Leben. Ich hatte großes Glück, hatte
dies aber nur meiner Frau zu verdanken, die beim amerikanischen Konsulat
erreichte, daß ihr die Originaldokumente ausgefolgt wurden, mit
welchem sie bei der Gestapo durch den berühmten Anwalt Dr. Führer
durchsetzen konnte, daß sie vorgelassen wurde. Bis zum Alter von
45 Jahren, durfte kein arisches Mädchen in einem jüdischen Haushalt
beschäftigt sein.
Sofort nach meiner Entlassung aus
der Haft mußte ich mich auf dem Polizeikommissariat melden und erhielt
ich dort die Nummer 120 mit der Aufforderung, daß ich täglich
während der Zeit zwischen 3 und 9 Uhr nachmittags zwecks Meldung
zu erscheinen habe. Ich habe dabei immer den Beweis zu liefern, wie weit
meine Ausreisebemühungen gediehen sind. Auf keinen Fall darf die
Frist bis 9. September überschritten werden. Nun begann der Kampf
um die Erlangung des Reisepasses. Der
erste Leidensweg war zur Finanzlandesdirektion
Dort mußte der Nachweis erbracht werden, daß kein Rückstand
an Erbschafts- und Gebäudesteuer, sowie Taggebühren besteht.
Bereits um 12 Uhr nachts mußte man sich anstellen, tausende
Menschen frierten die ganze Nacht, um endlich gegen 11 Uhr vormittags
einen Bogen zu erhalten, der am nächsten Tag ausgestellt eingereicht
werden mußte
Für die Einreichung dieses Formulares
genügte es, daß man am nächsten Tag erst gegen 4 Uhr früh
dort erscheinen mußte. Dann kam man gegen Mittag an die Reihe, damit
war die Formalität aber noch nicht beendet, denn man erhielt einen
Zettel, auf welchem ein Datum von ungefähr sechs Wochen später
notiert war. Inzwischen mußte man von anderen Instanzen ebensolche
Bestätigungen besorgen
Vom magistratischen Bezirksamt war eine Bestätigung
erforderlich, daß kein Rückstand an Mietaufwandsteuer, Portalsteuer,
Fürsorgeabgabe und Hundesteuer besteht
Dann begann der Kampf bei der Steueradministration. Ebenso wie in den
vorher genannten Ämtern mußte auch hier ein mit einem Zwei-Mark-Stempel
versehenes Gesuch ausgefertigt werden
Man hatte es doch schließlich nur auf das Geld abgesehen, nicht
davon zu sprechen, daß auch die Sekkatur
an die Juden dabei eine große Rolle spielte
Wieder mußte man sich eine halbe Nacht und den darauffolgenden Vormittag
in Schlangen vor dem Gebäude anstellen. Wenn man endlich das Glück
hatte in das Gebäude eingelassen zu werden, wurde man von einem Zimmer
in das andere geschickt. Die Herren Referenten hatten eine Freude daran,
die Juden" in jeder Art und Weise zu verspotten und zu verhöhnen
Außerdem suchten diese Herren
nach "alten Schulden", die eigentlich niemals bestanden haben
und half kein Einwand, alle erfundenen Schulden mußten beglichen
werden. In diesem Gebäude mußte man über folgende
Steuern einen Nachweis, daß kein Rückstand besteht, erbringen:
Einkommen-, Erwerb-, Warenumsatz-, Renten- sowie Zinsgroschensteuer.
Im Zimmer Nummer fünf passierte es mir, daß ich, als ich mit
einigen anderen Glaubensgenossen in das Zimmer eingelassen wurde, mit
folgenden Worten empfangen wurde: Es ist doch unerhört,
wie es hier nach Juden stinkt. Ihr verpestet doch hier die Luft."
Der Referent errechnete mir einen Rückstand von RM 1.560,.
Ich meinte, daß es ein Irrtum sein müßte, denn im Mai
betrug der Rückstand RM 950,. Ich habe den Mai-Beleg mitgenommen,
es könne in dieser kurzen Zeit doch keine solche Schuld anwachsen
Ich mache Sie aufmerksam",
sagte dieser gute Mann, wenn Sie nicht sofort bezahlen, geht es
nach Dachau." Mir war es doch um die Erlangung der Steuerunbedenklichkeits-Erklärung
und damit um die Erlangung des notwendigen Reisepasses zu tun. Was kann
ich denn anderes tun und bezahlen. Ohne Reisepaß gab es keine Möglichkeit
zur Ausreise und ohne Ausreise bis zu diesem Termin gab es nur Dachau".
Ein fürchterliches Wort und wenn dieses in den Gedanken kommt, so
wird nichts unversucht gelassen, um diesen Betrag aufzubringen. Bei jeder
Reklamation fand man nur taube Ohren. Es gab stets nur eine Antwort: Zahlen
Sie oder wollen Sie Dachau." (anm, aba keina hat was gwußt)
Nun erklärte ich, daß ich gar nicht über einen solch großen
Betrag verfüge
Da wurde der Mann feundlicher und
meinte: Sie haben den Betrag bis zum 30. Juni zu erlegen.
In diesem Betrag ist die Vorauszahlung für das zweite Quartal mitinbegriffen.
Sie melden heute das Gewerb ab und haben später keine weiteren Zahlungen
zu leisten. Bringen Sie mir bis zum Termin das Geld und ich streich Ihnen
die Verzugszinsen."
Was blieb mir anderes übrig, als den ganzen Betrag termingemäß
zur Einzahlung zu bringen. Ich mußte das Geld auftreiben und wenn
es für mich noch so schwer war. Schließlich hatte ich bereits
das Geschäft gesperrt und keine Einnahmsquelle mehr. Die Außenstände
waren nicht einzutreiben, da von Ariern an jüdische Lieferanten keine
Schulden bezahlt wurden.
Für Juden wurde im fünften
Bezirk in der Wehrgasse eine eigene Paßstelle errichtet.
Gesuche um Ausstellung eines Reisepasses mußten dortselbst persönlich
überreicht werden. Ein solches Ansuchen mußte folgendermaßen
lauten: Der unterfertigte Jude N. N. ersucht hiemit um Ausstellung
eines Reisepasses und verpflichtet sich, nach erfolgter Ausreise niemals
mehr in das Deutsche Reichsgebiet zurückzukehren." Selbstverständlich
mußte auch dieses Ansuchen mit einem Stempel versehen sein. Nächtelang
mußte man sich um das Gebäude anstellen, damit man endlich
an die Reihe kommen kann.
Hatte man endlich das Glück, nach zwei bis drei dort zugebrachten
Nächten an die Reihe zu kommen, erhielt man erst eine Nummer, mit
der man berechtigt war am nächstfolgenden Tag wiederzukommen, man
müsse sich nur auf der anderen Seite des Gebäudes anstellen. Wieder mußte man fünf bis sechs Stunden angestellt stehen,
bis man endlich in das Gebäude gelassen wurde, um diesmal das Gesuch
zu überreichen. Es kam öfters vor, daß zu spät Gekommene
von Polizisten zum Auskehren der umliegenden Straßen verwendet wurden.
Bei Abgabe des Gesuches erhielt man
eine Karte, welche zur Ausstellung einer Paßanweisung beim zuständigen
Polizeikommissariat ermächtigte. Wieder begann das Anstellen von
vorne.
In der Nacht spielten sich beim Anstellen öfters Schreckensszenen
ab, da junge Burschen es sich zum Vergnügen machten, die Angestellten
mit Holzlatten, Eisenstangen und Knütteln auseinanderzutreiben.
Dann warteten sie wieder, bis die Menge sich neuerlich gesammelt hatte,
um dann das Spiel von vorne anzufangen. So gab es öfters dort viele
Verletzte. Nach einigen Wochen erhielt ich vom Paßamt den Bescheid,
daß ich mir den Paß abholen könne.
Dieses Dokument befindet sich noch heute in meinem Besitz und hat folgenden
Wortlaut: Der Jude Chaskel Futterweit hat bis 9. September 1938
auftragsgemäß das Deutsche Reichsgebiet zu verlassen, weshalb
gebeten wird, ihn sogleich vorzunehmen. Wien, am 28. Juli 1938."
Der Reisepaß kann eigentlich als Dokument nicht gewertet werden,
denn trotzdem in diesem der Vermerk enthalten ist, zur einmaligen
Ausreise und Wiedereinreise in das Deutsche Reich gültig", ist
dies eine glatte Lüge Chas Kelfeit: Ich kann nicht
schweigen
Ende Januar 1945 Gnädiger Herr, gnädiger Herr! Kommen
Sie schnell herunter, die Piroschka hat im Klo entbunden!"
Das waren die Worte, die mich, kaum daß ich eingeschlafen war, wieder
weckten. Oh! Roze moj!"
Erst am Nachmittag hatte ich meinen
Koffer und meine wenigen Habseligkeiten in die Villa gebracht mit
den Gedanken: das ist endlich ein Platz, wo du wieder Mal für kurze
Zeit ruhig und gefahrlos bleiben kannst. Die Befürchtung, daß
schon zu viele Leute meine Adresse kennen würden, hatte mich bewegen,
die Wohnung zu wechseln. Ich bezog ein Schlafzimmer im ersten Stock
Außer mir bewohnten nur die 70jährige Hausfrau und die Dienstmagd
die unteren Räume der Villa.
Mein Herr, bitte, kommen Sie
doch herunter und helfen Sie mir. Ich kann doch kaum auf den Füßen
stehen." So etwas soll mir passieren! Ich dachte, daß sie
so viele Unterröcke trägt!
Ich konnte doch nicht wissen, daß sie unter ihrem Herzen ein Kind
trägt!
Was soll ich denn da machen?!"
Gleich morgens ging ich ins Spital, wo ich erfuhr, daß sowohl die
Mutter wie auch das Kind leben. Ich wurde als Vater beglückwünscht
und für meine gute Arbeit gelobt
Die Mutter bekam Kindbettfieber. Herr Dunand, dem ich den ganzen Vorfall
mitgeteilt hatte, sorgte für einen vierwöchigen Aufenthalt von
Mutter und Kind auf Kosten des Roten Kreuzes in einem Sanatorium.
Inzwischen hatte ich meine Dokumente in Ordnung gebracht und überreichte
meiner Wirtin den polizeilichen Meldezettel. Jedesmal, wenn ich meinen
Namen änderte, versuchte ich, soweit wie möglich, auch meinem
Äußeren eine andere Note zu geben.
Diese Verkleidung und meine Schlagfertigkeit
retteten mich vor einer neuerlichen Verhaftung: Als ich nach dem Mittagessen
wieder zur Arbeit ging, geriet ich zufällig in eine Straßensperre,
durchgeführt vom deutschen Militär und einigen SS-Leuten. Es
war nichts weiter als ein routiniertes Durchkämmen gewisser Straßen,
was leider oft mit Erfolg endete
In solch eine Sperre geriet ich also und konnte nicht mehr heraus. Einige
neugierige Passanten umstellten die Gruppe, in der über einen Ausweis
diskutiert wurde, den der angehaltene Passant vorgezeigt hatte. Er sei
gefälscht und nicht in Ordnung. Ich ließ mir keine Sekunde
Zeit, drängte mich an die deutsche Gruppe heran und fragte mit lautem
Gruß: Heil Hitler, Hans, was gibts denn hier wieder?" BUMI LAZAR ÜBERLEBEN IN PRESSBURG
das buch aus dem die zitate san, heißt: Chas Kelfeit: Ich kann nicht
schweigen
Die Wahrheit 3845" 1988 by J & V Edition Wien
Frauenprotest in der Rosenstraße. Im März
1943 mitten in Berlin. Tagelang,
nächtelang.
Ein Protest von vielen hundert Menschen, der dem damals 15jährigen
Hans Grossmann,
seinem Vater und mehreren tausend anderer Juden das Leben rettet.
"Die Soldaten bauten die Maschinengewehre ab. Als sie die Munitionskästen
schlössen, wurden wir alle plötzlich sehr still. Man hörte
Weinen und Schluchzen. Zögernd fanden sich wieder jene ein, die in
Todesangst vor den Maschinengewehren gewichen waren.
Da standen wir nun. Erst vereinzeltes Rufen. Dann wieder Sprechchöre:
>Gebt unsere Männer frei! Unsere Kinder!< In jenen Minuten
haben wohl viele von uns gespürt, daß aus unserem spontanen
Protest eine Widerstandsaktion geworden war. Wir kämpfen ganz
ohne Waffen.
Gegen Hitler. Gegen Goebbels. Gegen Himmler.«
Eine einmalige und erfolgreiche Widerstandsaktion in Nazi-Deutschland
Schritt für Schritt wurden in der Folgezeitjuden aus dem gesellschaftlichen
und beruflichen Leben ausgeschlossen. Juden wurden aus dem kulturellen
Leben, aus den Opern, den Schauspielhäusern, aus den Filmen vertrieben.
Wer als Nichtjude noch geschäftliche, freundschaftliche oder andere
private Kontakte zu Juden hatte, wurde von den Nazis und sogar in der
Nazi-Presse wie dem »Stürmer« an den Pranger gestellt.
Dann gab es eine Art Wettbewerb zwischen kleinen Städten und Dörfern.
Man wetteiferte darin, »judenfrei zu sein. Und dann wurden - im
September 1935 - die »Nürnberger Gesetze« erlassen. Da erfanden die Nazi-Juristen unter anderem die Unterscheidung zwischen
»Reichsbürgern« und »Staatsangehörigen«.
Die Juden galten von nun ab nicht mehr als »Reichsbürger«,
sondern sie waren nur noch »Staatsangehörige«. Das Ungeheuerliche
an dieser Regelung war, daß damit in Deutschland, in einer ursprünglich
bedeutenden Kulturnation, die Gleichheit aller Menschen geleugnet wurde.
Für die Anerkennung dieses Grundsatzes war doch in der Menschheitsgeschichte
und auch in Deutschland lange gekämpft worden!
Ein anderes dieser »Nürnberger Gesetze« bestimmte, daß
Juden und Nichtjuden das Heiraten verboten wurde. Ein Gesetz, das für
viele Menschen großes Leid brachte.
Anzeige für ein antisemitisches Gesellschaftsspiel JUDEN RAUS! D.R.Q.M.
1446300
Das zeitgemäße und überaus lustige Gesellschaftsspiel
für Erwachsene und Kinder
An die »Reichskristallnacht«,
wie die Nazis dieses Ereignis nannten, drei Jahre später, erinnere
ich mich aber sehr genau. »Kristallnacht« - das klingt
irgendwie schön. Gemeint waren die Splitter der Glasscheiben
von Synagogen und jüdischen Geschäften. Manche Straßen
waren von Scherben übersät. Vor meinen Augen sehe ich noch
immer das zertrümmerte und geplünderte Geschäft und meine
verzweifelten Eltern
"Grausamkeit imponiert, die Leute brauchen den heilsamen Schrecken.
Sie wollen sich vor etwas fürchten. Sie wollen, daß man ihnen
bange macht und daß sie sich jemandem schauernd unterwerfen... Die
Masse will das. Sie braucht etwas zum Grauen"Hitler
gernot jochheim Frauenprotest in der Rosenstraße
»Gebt uns unsere Männer wieder« EDITION HENTRICH
Der Kult sprach Frauen nur als Mütter
an, weil nach der NS-Ideologie die »deutschen«Frauen eben
nur Mütter zu sein brauchten, weiter nichts. Wenn Frauen außerhalb
der Familie bzw. des Bauernhofs auftauchten, so war dies aus NS-Sicht
schon fast eine Folge der »Entartung« des deutschen Volks,
eine >Fehlentwicklung<, die wieder rückgängig gemacht
werden mußte. In einer »Führerrede« von 1936 heißt
es: »Es gibt zwei Welten im Leben eines Volkes: die Welt der Frauen
und die Welt des Mannes. Die Welt der Frau ist, wenn sie glücklich
ist, die Familie, ihr Mann, ihre Kinder, ihr Heim.« (Rede
des Führers am Parteitag der Ehre 1936. München 1936)
anm, mit eine erklärung warumsi so viele alte üba emanzipatjon
so sehr aufregn
Die Nationalsozialisten störte bei der Betonung
der alten »deutschen Tradition« des Muttertags nicht daß
dieser zuerst in Amerika und von einer Amerikanerin, Ann Jarvis, propagiert
worden war.
Jarvis forderte die Einführung eines »Mother's day« erstmals
1907. Die Idee des Muttertags machte von da an eine steile Karriere. Schon
1914 wurde er mit der »Mother's day bill« vom amerikanischen
Kongreß zum Staatsfeiertag erklärt. In Deutschland wurde
der Muttertag ab 1923 auf die Initiative des »Verbandes Deutscher
Blumengeschäftsinhaber« hin propagiert und praktiziert,
allerdings nicht als Staatsfeiertag. Der Verband hatte 1922 beschlossen,
dem Beispiel Amerikas zu folgen und den Muttertag auch in Deutschland
einzuführen.
In der Muttertagsansprache des Völkischen
Beobachters im Mai 1940 heißt es z. B.: »Viele Söhne
unseres Volkes sind hingegangen, um dem Volk der Tat zu leben, und wenn
es sein muß, dafür zu sterben. Fort und fort sehen die Mütter
ihren Aufbruch. Und sie lassen sie ziehen, wie immer die Mütter ihre
Söhne haben ziehen lassen. Wenn es aber bittereren Schmerz gibt als
selbst diesen, den Sohn nicht wieder heimkehren zu sehen, dann ist's der,
einen Sohn zu haben, der sich solchem Aufbruch verweigern wollte. Dann
erst müßte sie sich wirklich von ihm verlassen fühlen,
denn einmal würde sie spüren: Wer sein Volk aufgibt, gibt seine
Herkunft auf, seine nächste Herkunft, die Mutter. (...)
Die Tat des Helden ist ein Geschenk an sein Volk. (...) Als dem ersten
Menschen bringt sie der junge Kämpfer aber seiner Mutter dar. (...)
Und was in aller Welt könnte ein Sohn mehr und Besseres tun für
die, die ihn geboren hat?«
Sie sollen ihre »Heldentaten«, d. h. töten wie sterben,
ihrer Mutter »darbringen«. In dieser Logik ist es natürlich
schlimmer für eine Mutter, wenn der Sohn sich weigert, in den Krieg
zu ziehen, und lieber leben will, als wenn er nie wieder aus dem Krieg
zurückkommt.
In den Krieg zu gehen, um zu töten und eventuell zu sterben, wurde
als Pflicht der Söhne (und Männer) gegenüber ihren Müttern
(und Frauen) dargestellt. In den »Gedanken einer deutschen Mutter
zum Muttertag 1943« sagt eine Frau: »So würde sich wohl
heute jede deutsche Mutter für ihren Sohn schämen, täte
er nicht, wie es sein Volk in der Stunde der Entscheidung von ihm verlangt,
seine Pflicht und Schuldigkeit«
Ein öffentlich wirksamer Höhepunkt des nationalsozialistischen
>Mutterkults< waren die Mutterkreuzverleihungen. An Weihnachten
1938 wurde Hitlers »Stiftung des Ehrenkreuzes der Deutschen Mutter«
von Rudolf Heß in der Öffentlichkeit proklamiert. In dem kurzen
Text der Stiftungsverlautbarung nannte Hitler das Mutterkreuz ein »sichtbares
Zeichen des Dankes des Deutschen Volks an kinderreiche Mütter«
( Verordnung des Führers und Reichskanzlers über
die Stiftung des Ehrenkreuzes der Deutschen Mutter vom 16.12.38, Reichsgesetzblatt
vom 24.12.38, Nr. 224, S. 1923)
In Artikel 2 werden die »Voraussetzungen für die Verleihung«
aufgezählt: »Das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter können
Mütter erhalten, falls a) die Eltern der Kinder deutschblütig
und erbtüchtig sind, b) die Mutter der Auszeichnung würdig ist,
c)die Kinder lebend geboren sind.«
In Artikels wurden die Ehrenkreuze (offensichtlich nach dem Vorbild der
olympischen Medaillen in drei Stufen eingeteilt: die dritte und niedrigste
Stufe (Bronze) bekamen Mütter von vier und fünf Kindern. Die
zweite Stufe (Silber) bekamen Mütter mit sechs und sieben Kindern
und die dritte Stufe (Gold) bekamen Mütter, die acht oder mehr Kinder
hatten.
Bevorzugte Behandlung. Muttertag
und Mutterkreuz Der Kult um die »deutsche Mutter«
"Das Ehrenzeichen,
kurz «Mutterkreuz» genannt, trug die Aufschrift «Der
Deutschen Mutter» sowie «Das Kind adelt die Mutter».
Es wurde alljährlich am Muttertag durch den Ortsgruppenleiter verliehen
und verschaffte der Trägerin im Alltag einige Vorteile: Hitlerjungen
mussten sie grüssen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln war
ihr ein Sitzplatz sicher und auf dem Amt wurden ihre Anliegen bevorzugt
behandelt" 20min.ch
Die »Auslese« für
die Verleihung war folgendermaßen geregelt: Die »Vorschläge«,
welche Frau das Mutterkreuz bekommen sollte, wurden »vom Bürgermeister
von Amts wegen oder auf Antrag des Ortsgruppenleiters der NSDAP oder des
Kreiswarts des Reichsbundes der Kinderreichen aufgestellt«.
Die Vorschläge konnten also sowohl von der Partei wie einer staatlichen
Stelle gemacht werden.
Der Bürgermeister legte alle Vorschläge anschließend »der
unteren Verwaltungsbehörde« vor. Dies hieß praktisch,
daß in sämtlichen vor Ort vorhandenen Akten nachgesehen wurde
oder werden konnte, ob unter NS-Gesichtspunkten etwas gegen die Vorgeschlagenen
sprach. Die »untere Verwaltungsbehörde«, die Ende 1938
schon »Listen« aller Art über die »Erbtüchtigkeit«
der »deutschen Familien« vorliegen hatte, stellte »nach
Einholung einer gutachterlichen Äußerung des Gesundheitsamtes
das Einvernehmen mit dem Kreisleiter der NSDAP her«.
Die Listen der vorgeschlagenen Mütter wurden von der Verwaltungsspitze
der Stadt oder Gemeinde zur Präsidialkanzlei weitergereicht, die
die Besitzzeugnisse ausfüllte. Die Zeugnisse trugen nur die gedruckte
Unterschrift Hitlers und die originale vom »Staatsminister und Chef
der Präsidialkanzlei«.
Die »Aushändigung« der Mutterkreuze und Besitzurkunden
sollten durch den jeweiligen Ortsgruppenleiter der NSDAP "am nächsten
Muttertag, also im Mai 1939, geschehen.
Die »Durchführungsverordnung« enthielt auch die Bestimmung,
daß Hitler (»der Führer«) das Mutterkreuz auf Vorschlag
des Reichsinnenministers entziehen konnte.
Für die »Überprüfung« der
für das Mutterkreuz in Frage kommenden Mütter wurde ein extensiver
bürokratischer Aufwand getrieben. Der Aufwand war so groß,
daß für die Bearbeitung der Anträge neues Personal eingestellt
wurde. Besonders die Gesundheitsämter, die die Erbkarteien führten,
hatten viel zu tun. Die Hamburger Gesundheitsämter erklärten,
»ohne zusätzliches Personal keine Anträge bearbeiten zu
können« Der bürokratische Aufwand, der allein von den
Gesundheitsämtern zur Feststellung der »Würdigkeit«
oder »Unwürdigkeit« der Mütter aufgebracht wurde,
wird von den Stellenanforderungen der Hamburger Gesundheitsverwaltung
veranschaulicht, die zu diesem Zweck erhoben wurden: »28 Kräfte,
die täglich vier Stunden nach 16 Uhr an der Erbkartei arbeiten. (...)
1 Bote mit Kraftwagen täglich 2 mal 2 Stunden. 24 Büroangestellte,
davon mindestens die Hälfte imstande, gut Maschine zu schreiben für
die volle Dienstzeit.« Auch die Hamburger Polizei und das Hauptverwaltungsamt
forderten weiteres Personal, um die Mutterkreuzanträge zu prüfen.
Das Reichsinnenministerium rechnete im Juni 1939 mit der Bearbeitung von
noch »etwa 4,5 Millionen Anträgen«.(Ministerialblatt
des R. u. Pr. M. d. I., Nr. 23, 7.6.39, Laß, Rep. 208, acc. 61)
Nach einem Bericht der Gauleitung Koblenz,
der an die Präsidialkanzlei gerichtet war, war »eine ziemliche
Verstimmung unter der Bevölkerung eingetreten, da die Frauen immer
wieder auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet werden«.
Die Gauleitung forderte, daß sämtliche Mutterkreuze »in
nächster Frist« ausgegeben werden müßten.
(Auszug aus dem Bericht der Gauleitung Koblenz vom 7.10.39, von der Reichspropagandaleitung
weitergegeben an Präsidialkanzlei, Berlin, 9.10.1939, BA, NS 18/255)
Da die Verleihung an alle restlichen bisher
in Frage kommenden Mütter am l. Oktober 1939 nicht geklappt hatte
-von den bis dahin angefertigten 5 Millionen Mutterkreuzen waren insgesamt
erst 2,6 Millionen verliehen worden, davon 815000 goldene, 710000 silberne
und 1088000 bronzene (Brief der Präsidialkanzlei
an den Stellvertreter des Führers vom 3.11.39, BA, NS 18/255 1 Pro
4), wurde am Heiligabend, am 24. Dezember 1939 noch ein Zwischentermin
für die Verleihungen eingeschoben.
Die restlichen Verleihungen sollten am Muttertag 1940 stattfinden.
Nach einer Aufstellung vom Oktober 1941 waren bis zum 30. September 41
insgesamt 4,7 Millionen Mutterkreuze verliehen worden, davon 1,2 Millionen
goldene, fast ebenso viele silberne und 2,3 Millionen bronzene.(Propagandaleitung,
Teichert an Thiessler, 30.10.1941, B A, NS 18/255) An den späteren
Muttertagen sollten die Kreuze nur noch an die jüngeren Mütter
vergeben werden, die gerade erst durch eine weitere Geburt für ein
Ehrenkreuz oder für eine höhere Stufe des Ehrenkreuzes in Frage
kamen. (Ministerialblatt des Reichs- und preussischen
Ministeriums des Innern, 7.6.1939, RdErl. d. RMdl, vom 2.6.1939, Laß,
Rep. 208, acc. 61; Schreiben des Oberbürgermeisters von Berlin 30.10.1939
mit Bezug auf Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 10.10.39,
Laß, Rep. 208, acc. 61)
In der Praxis kamen jedoch immer wieder noch ältere Mütter
dazu.
folgende Entscheidung zeigt, wie wichtig Hitler
das Mutterkreuz war. Die Verleihung der meisten anderen zivilen Ehrenzeichen
und Orden wurde nämlich für die Dauer des Krieges »im
Zuge der Vereinfachung der Verwaltung« eingestellt. In
einem Vermerk der Propagandaleitung an einen Mitarbeiter von Heß
heißt es: »Nach telefonischer Feststellung bei der Präsidialkanzlei
am 20.9. 1939 wird auf Anordnung des Führers die Verleihung des Ehrenkreuzes
der Deutschen Mutter weiterhin durchgeführt. Der nächste Termin
(I.Oktober) bleibt im allgemeinen bestehen. Nur in einzelnen Bezirken
wird die Verleihung wegen Materialmangels und anderweitiger starker Inanspruchnahme
der zuständigen Stellen hinausgeschoben werden müssen.«
( Propagandaleitung4 an Schmidt, Stab Heß, 22.9.39,
BA, NS18/255 64 Verleihung des Ehrenkreuzes der dt Mutter, V.l., 35/472
v. 15.5.42, VAB, Bd. I, S. 349)
Für den Muttertag 1942 stellten
die Reichspropagandaämter fest, »daß häufig keine
Kreuze verliehen werden konnten, weil von den Frauen keine Anträge
eingereicht worden waren«.
Die Gründe hierfür wurden in der Zurückhaltung der Frauen
und der »Umständlichkeit des Verfahrens« gesehen, dessen
Bürokratie inzwischen der NSDAP selbst aufgefallen war. Außerdem
versuche »die Kirche, den Wert des Mutterkreuzes herabzusetzen und
die Antragstellung zu hintertreiben«. Die Umständlichkeit des
Verfahrens beschrieb die Propagandaleitung folgendermaßen: »a)
Vor der Verleihung wird die Ausfüllung eines Fragebogens zur Beantragung
des Mutterkreuzes durch die Mutter selbst verlangt.
b) Nach der Verleihung des Kreuzes und der Besitzurkunde Ausfüllung
eines neuen zweiseitigen Formulars und Einreichung zweier Lichtbilder,
um den Ausweis zu erhalten, der erst zum Tragen des Mutterkreuzes berechtigt.
Gleichzeitig werden noch zwei Karteikarten in großem Format ausgefüllt,
die bei der Ortsgruppe verbleiben.
c) Aushändigung des Ausweises erst nach Monaten, vielfach nach einem
Jahr, so daß während dieser Zeit das Mutterkreuz nicht getragen
werden darf.«
Die Reichspropagandaleitung kritisierte diese Umständlichkeit, vor
allem die Beantragung durch die Mutter selbst, sie bevorzugte die systematische
Erfassung, die auf Initiative der Mutter oder deren Angehörigen verzichtete.
( Chef des Propagandastabes, Ref. Imhoff, an den Reichspropagandaminister,
17.6.42, B A, NS 18/255 74 Tätigkeitsbericht vom 14.12.42, a. a.
O.)
Vermutlich war es den örtlichen Propagandaleitungen ein
Dorn im Auge, wenn in einem Ort am Muttertag keine Mutterkreuze zu verleihen
waren, denn das konnte ja so verstanden werden, daß die Geburtenzahlen
zurückgingen, die Mütter kein Interesse mehr am Mutterkreuz
hatten oder alle hierfür nicht »würdig« waren. Je
mehr deutsche Soldaten fielen, desto wichtiger wurde anscheinend die Anerkennung
und Ehrung der Mütter bei den Mutterkreuzverleihungen für
die Erhaltung der Loyalität der Frauen zum Regime angesehen. Eine
Frau, der trotz vier oder mehr Kindern vom Staat wegen »Unwürdigkeit«
das Mutterkreuz verweigert wurde, hätte sich fragen können,
ob sie denn würdig sei, ihren Nachwuchs im Krieg für denselben
Staat zu opfern.
Zentrale Statistiken über Ablehnung bei der
Mutterkreuzverleihung liegen nicht vor, da die Akten der Präsidialkanzlei
in Berlin, zu der alle Mutterkreuzanträge
hingeschickt wurden, weitgehend vernichtet sind. Nach einer Aufstellung
des Amtsarztes von Grevenbroich bei Düsseldorf, die 1940 in »Der
öffentliche Gesundheitsdienst« veröffentlicht wurde, wurden
hier von den bis zum 1. Oktober 1939 gestellten 5028 Mutterkreuzanträgen
160, also 3,1 % abgelehnt. (auskunft im Bestandsverzeichnis
des Bundesarchivs Koblenz) Im Durchschnitt dürften nicht mehr
als 5% aller Mutterkreuzanträge abgelehnt worden sein. Zu den für
das Mutterkreuz abgelehnten Frauen müssen die kinderreichen Jüdinnen
und »Zigeunerinnen« dazugezählt werden, für die
aus »rassischen« Gründen von vorneherein kein Antrag
gestellt wurde. Auch sie waren vom Staat abgelehnte deutsche Mütter.
Obwohl eine Ablehnung bei der Mutterkreuzverleihung
schwerwiegende Nachteile mit sich bringen konnte, wie z. B. den Ausschluß
von Kinderbeihilfen, konnte bei einer Ablehnung keine juristische Instanz
angerufen werden. Es gab keine Prozesse um Mutterkreuzverleihungen.
Der Soldat, der das Eiserne Kreuz im Felde nicht bekommt, ist keineswegs
als feige gebrandmarkt. Die Mutter jedoch, die, wie die Nachbarschaft
und in kleinen Gemeinden der ganze Ort weiß, 4 und mehr Kinder geboren
hat, ist in der ganzen Öffentlichkeit als unwürdig, d. h. als
erbbiologisch oder asozial bloßgestellt, wenn sie trotz ihres Kinderreichtums
das Ehrenkreuz nicht bekommt. ( Gaupropagandaleitung
Ost-Hannover an Reichspropagandaleitung der NSDAP, 28.2.40)
Die enttäuschten bzw. durch die Mutterkreuzablehnung
benachteiligten Frauen oder ihre Ehemänner, Söhne und Töchter
konnten nur versuchen, mit Bitt- oder Beschwerdebriefen zu ihrem Ziel
zu kommen. Manchmal wurde die Entscheidung dann noch einmal überprüft.
Das Ergebnis war jedoch ähnlich willkürlich wie die Ablehnung
selbst, es blieb letzten Endes dem Kreis- bzw. Ortsgruppenleiter der NSDAP
überlassen, wie er die neuerlichen Nachforschungen bewerten wollte.
Wenn die Behörden oder NS-Dienststellen einmal eine negative Ansicht
von einer Familie hatten, dann wurde auch im Zweifelsfall alles Wissen
über sie gegen sie ausgelegt. Wenn ein Kind etwa in einer psychiatrischen
Anstalt war, und der NS-Blockleiter nichts ȟber den Gesundheitszustand
der übrigen Kinder« erfahren konnte, schrieb er z. B.: »Es
ist aber anzunehmen, daß auch diese nicht erbgesund sind.«
(Blockleiter, Hamburg Lokstedt, 8.8.39, StaH 13 a)
Wenn daran gezweifelt wurde, ob bei einem Sohn oder
Ehemann eine Behinderung erblich oder - wie vom Betroffenen angegeben
- eine Folge des Ersten Weltkriegs war, wurde auch eher Erblichkeit als
Ursache angenommen. So konnten selbst die sonst so gelobten >Opfer
für das Vaterland< gegen die Familien verwendet werden, wenn sie
den Nationalsozialisten oder ihren Behörden nicht genehm waren.
Ein NS-Kreisleiter schrieb u. a. in einem Brief, der die Mutterkreuzablehnung
zum zweitenmal bekräftigen sollte: »Der Ehemann war vor einigen
Jahren in der Irrenanstalt in Neustadt gewesen - ob aufgrund eines Kriegsleidens
(er war im Weltkrieg verschüttet) konnte nicht festgestellt werden.«
(NSDAP-Kreisleiter, 17.11.42, StaH 13 b)
Ein Ortsgruppenleiter gab nach dem Besuch bei
einer Frau, für die ein Mutterkreuzantrag gestellt wurde, u. a. folgendes
zu Protokoll: »Der Sohn R. soll im ersten Schuljahr gut gelernt
haben, hat dann aber einen Haarwurm bekommen, wobei das Gehirn angegangen
sein soll, weshalb er auch beim Militär nicht angenommen ist. Beim
Erbgesundheitsgericht hat Frau W. auch wiederholt diesetwegen vorsprechen
müssen (wegen Sterilisierung).«(Ortsgruppenleiter
28.9.39, StaH 13b)
Aus NS-Sicht sprach es also gegen die Betroffene, wenn sie oder eines
der Familienmitglieder einmal etwas mit dem Erbgesundheitsgericht zu tun
gehabt hatten.
Zwangssterilisationsverfahren waren immer bei
den Gesundheitsämtern registriert.
Sie waren zum großen Teil von ihnen ausgegangen. Die Gesundheitsämter
führten in den Mutterkreuzformularen alle Zwangssterilisationen auf,
die in der Familie der Frau vorgekommen waren. Da die NS-Erbbiologen behaupteten,
»Erbkranke« würden sich besonders stark vermehren, kann
man aufgrund einzelner Mutterkreuzakten zu der Vermutung kommen, daß,
wenn eine dem Gesundheitsamt verdächtige Frau viele Kinder geboren
hatte, diese Kinder noch eher zwangssterilisiert wurden, als wenn sie
nur wenige Kinder gehabt hätte. So schreibt das Gesundheitsamt Spandau
1939 zum Mutterkreuzantrag für Frau A., 61 Jahre alt, Mutter von
vier Kindern: »Es sind Tatsachen bekannt geworden, die gegen die
Verleihung des Ehrenkreuzes der deutschen Mutter an Frau A. sprechen.
Maßnahmen nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
sind in der Familie bereits durchgeführt.« Weiter heißt
es: »Bei der Antragstellerin Frau A. sind in der Sippe folgende
Mängel in Beziehung auf die Erbtüchtigkeit festgestellt worden:
Ehemann: wegen Geisteskrankheit in Landesanstalt N. verstorben. Sohn W:
15.10.35 unfruchtbar gemacht wegen angeb. Schwachsinn. Sohn K.: 26.3.35
unfruchtbar gemacht wegen angeb. Schwachsinn. Tochter L.: 26.6.35 unfruchtbar
gemacht wegen angeb. Schwachsinn.« (Stellungnahme
des Gesundheitsamtes Spandau. Laß, Rep. 208, acc. 536, Nr. 63)
Nur ein Sohn dieser Familie blieb unsterilisiert.
Jedes unehelich geborene Kind wurde der Mutter
zur Last gelegt.
Es gehörte von vorneherein zu den >Negativposten<. Bei
einer Ablehnung heißt es z. B.: »Antragstellerin ist Psychopathin.
Sämtliche Kinder sind unehelich geboren.« (Landrat
von Detmold, 23.2.40, StaD, L 80 Ic, Gruppe XXIV, Fach 12, Nr. 411)
Unverheiratete Mütter, die der Prostitution
verdächtigt wurden, bekamen das Mutterkreuz natürlich auch nicht.
Bei einer Frau heißt es kurz: »Der Antrag wird abgelehnt.
3 uneheliche Kinder von verschiedenen Vätern, die Antragstellerin
stand 1937 unter gesundheitlicher Überwachung.« »Gesundheitliche
Überwachung« bedeutete die Registrierung bei den Gesundheitsämtern
als Prostituierte. Diese mußten sich einer Reihe von Kontrollen
vor allem medizinischer Art unterwerfen. Gesetzliche Grundlage dieser
Überwachung war das »Reichsgesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten«
von 1927, das schon im Mai 1933 von den Nationalsozialisten novelliert,
d.h. verschärft worden war. Nach dieser Novellierung konnten alle
Frauen, die »auffällig« erschienen, »gesundheitlich
überwacht« werden. Eine Frau, die den vom Gesundheitsamt oder
von speziellen Überwachungsstellen gemachten Auflagen zu mehrmaligen
wöchentlichen Untersuchungen nicht nachkam, wurde sofort polizeilich
gesucht und, wenn gefunden, mit Gefängnis bestraft. Nach der Gefängnishaft
wartete oft ein Arbeitserziehungslager oder sogar die Deportation in ein
Konzentrationslager. Als Prostituierte registrierte Frauen wurden auch
oft wegen »moralischem Schwachsinn« entmündigt
(Zürn, a.a. O., S. 91 ff; Gisela Bock, »Keine Arbeitskräfte
in diesem Sinn«, in: Pieke Biermann, Wir sind Frauen wie andere
auch. Prostituierte und ihre Kämpfe. Hamburg 1980)
anm und die freia san fein raus
Auch ein »unsittlicher Lebenswandel« der Töchter wurde
der Mutter angelastet, da ja auch dieser als vererbt unterstellt wurde.
Es wundert nicht, daß über den Zeugungsvorgang
als »Ehrendienst am Volk« Witze gemacht wurden, wie in dem
folgenden, in dem nicht nur das Gebären, sondern auch das Zeugen
als ein Ehrendienst am Volk angesehen wurde: »An einem Nazifeiertag
ist ein Haus nicht beflaggt. Man findet an der Haustür ein Schild:
>Wi flaggt nicht binnen, wi flaggt nicht buten, wi legt in' Bett und
mokt Rekruten. <
zitiert aus Muttertag und Mutterkreuz
Der Kult um die »deutsche Mutter« im Nationalsozialismus
Irmgard Weyrather FischerTaschenbuchVerlag
"Fazit
Die Nationalsozialisten wollten zu Anfang, dass die Frau nur Mutter und
Ehefrau war. Sie sollte viele Kinder bekommen und auf diese Weise den
Fortbestand des Dritten Reiches sichern. Der Mann dagegen wurde als Ernährer
und Beschützer dargestellt. Um den Frauen die Mutterschaft schmackhaft
zu machen, betrieben sie einen großen Mutterkult und priesen sie
als besonders wertvoll, da es ihre Aufgabe sei, dem Führer und den
Volk neue Kinder zu schenken" shoa.de
fotos
vom Mutterkreuz, Mementoes, Badges, and other Nazi Artifacts wikipedia
Sonntag, 28. September 1941
Ich habe inzwischen die Stunde bei meinem Holzkopf aus der ersten Klasse
verloren, die ich den ganzen Sommer über hatte. Er ist höchstwahrscheinlich
zum zweiten Mal sitzengeblieben, weshalb seine Mutter schließlichen
auf seine weitere Ausbildung verzichtet und als hochgestellte Person im
Ghetto ihn ohne Mühe im Metall-Ressort untergebracht hat. Sie schuldet
mir noch ein paar Mark, die ich mir - das habe ich im Gefühl -schwerlich
abholen kann. Sie hat mich für Freitag zu sich bestellt. Doch es
sieht so aus, als würde sie auch am Freitag nicht zahlen.
Dienstag, 30. September 1941
Heute haben wir Erew
Jom Kippur. In unserer ehemaligen Schule ist eine Gruppe von Aussiedlern
aus Lubraniec bei Wiociawek und aus Brzesc
Kujawski eingetroffen. Sie sehen großartig aus, haben Gepäck
bei sich und erzählen, es wäre ihnen durchaus nicht schlecht
gegangen.
Interessant, daß sie die hiesigen Bedingungen gar nicht kennen und
einen ziemlich großen Optimismus an den Tag legen. Sie sind sogar
fröhlich und machen Scherze. Es sind Frauen verschiedenen Alters,
Mädchen und Alte. Männer im besten Alter und Jungen sind nicht
darunter. Die sind alle in Arbeitslagern.
Wenn alle im Ghetto bisher so zu essen gehabt hätten wie sie,
gäbe es keine frischen Gräber auf dem Friedhof und keine so
entsetzlich aussehenden Menschen. Ich habe mich mehr als eine Stunde
mit ihnen unterhalten und kam zu dem Schluß, daß diese Menschen
zwei Kriegsjahre gewonnen und das Schlimmste noch nicht durchgemacht haben.
Sonntag, 5. Oktober 1941
Heute haben sie in Marysin (anm. teil des ghettos Lódz'/Litzmannstadt
zuvor vorstadt)
einen Mann am Stacheldraht erschossen.
Ich sah, wie sie ihn auf einer Schubkarre auf den Friedhof schafften.
Wollte er aus dem Ghetto heraus, oder ist das eine neue Serie von Toten
im Ghetto? Weiß der Teufel.
Es geht immer weniger lustig zu im Ghetto, oh, immer weniger lustig!
Montag, 6. Oktober 1941
Heute sind, obwohl wir Sukkot haben, alle Werkstätten und Läden
geöffnet.
Angeblich nehmen die Deutschen die Juden hart ran und wollen die reinsten
Arbeitsautomaten aus ihnen machen, die keine anderen Bedürfnisse
und Rechte besitzen.
Unterdessen gibt es schon seit etwa zehn Tagen wieder keine Kartoffeln
mehr
Dienstag, 7. Oktober 1941
Heute nachmittag hat Rumkowski
gesprochen
Er erklärte, man würde ihm noch 21 000 Leute schicken, davon
20000 aus dem Altreich.
(Die Aktion der Evakuierung und Umsiedlung hat schon begonnen, mehrere
Familien hausen in einem Zimmer, pro Kopf sind 3,5m2 festgesetzt.)
Mittwoch, 8. Oktober 1941
Ich habe eine Generalaktion begonnen und renne herum nach Arbeit. Ich
mobilisierte schon eine ganze Armee von Bekannten, die Beziehungen in
den einzelnen Ressorts und Abteilungen haben. Vielleicht klappt es
Sonntag, 19. Oktober 1941
Es treffen noch mehr Deutsche ein. Heute welche aus Luxemburg. In der
Stadt wird es voll. Sie tragen nur einen Flicken mit der Aufschrift »Jude«
auf der linken Brust. Angezogen sind sie blendend - man sieht, daß
sie nicht in Polen gelebt haben. Sie kaufen in der Stadt auf, was sie
kriegen können. Alles ist um das Doppelte teurer geworden. Ein Brot
kostet 12 - 13 Rm. Für Socken, die früher 70 Pf gekostet haben,
zahlt man jetzt 2 Rm. Obwohl sie erst ein paar Tage da sind, klagen
sie schon über Hunger. Was sollen wir sagen, die wir schon über
ein Jahr nicht satt zu essen haben. Offenbar gewöhnt man sich an
alles
Dienstag, 21. Oktober 1941
Aus dem Kork-Ressort wird wohl vorerst auch nichts. Das Schulamt will
die Bestätigung nicht geben. Sie sind dort der Auffassung, an die
Werkstatt sollen nur welche abgegeben werden, die sich zum Weiterlernen
nicht eignen. Aber daß das Weiterlernen nicht in Sicht ist und man
essen muß - davon spricht man nicht. Außer der einen festen
und den gelegentlichen Aushilfestunden habe ich keine Stunden mehr. Maximal
verdiene ich jetzt 15 Rm monatlich. Alle anderen Nachhilfestunden haben
sich zerschlagen. Möglichst schnell arbeiten gehen!
Freitag, 19. Juni 1942
Nach mehreren Wochen leidlich warmem Wetter ist es wieder kalt geworden.
Morgens unerhört frisch, und der überwiegende Teil des Tages
bewölkt, obwohl es nicht regnet. Alles kriegsgerecht, mit ändern
Worten -unzureichend. Selbst an Sonnenwärme fehlt es im Sommer.
Angeblich soll es in den Ressorts morgen statt Wurst Butter geben. Dabei
werden sie uns natürlich ungeheuer übers Ohr hauen. Die aufs
Brot gestrichene Butter abzuwiegen (es soll l Deka sein) ist ein Unding.
Mein Zahn tut überhaupt nicht mehr weh, die Schwellung ist etwas
zurückgegangen.
Die Dentistin erklärte mir heute, es bestünde die Möglichkeit,
den Zahn zu behandeln und ihn nicht zu ziehen. Vielleicht wird etwas draus.
In der Politik nichts Neues. Der Sommer geht zu Ende, und eine Lösung
gibt es nicht.
Sonnabend, 20.Juni 1942
Heute erhielt ich auch das Foto, das wir vor einer Woche machen ließen.
Wir sind nicht schlecht getroffen, wie wir so treuherzig die nimmersatten
Ghettophysiognomien vorzeigen.
Auf diesem Bild sehe ich erst, in was für einem Zustand ich mich
befinde. Die Todesanzeige schon in der Visage, wie es unverblümt
im Ghetto heißt
Mittwoch, 24. Juni 1942
Vorerst ist es ein bißchen wärmer.
Ich werde immer träger und gleichgültiger. Das Leben ist
immer schlimmer, immer farbloser und ganz und gar ohne Inhalt
Donnerstag, 25. Juni 1942
Es ist wieder kühl.
Zwei Tage lang war die Sonne »menschlich«, und schon ist sie
abgekühlt.
Die Ernte wird in diesem Jahr vermutlich miserabel sein. Es kommt nichts
ins Ghetto. Keinerlei Gemüse, nicht das kümmerlichste Grünzeug.
Von den Ressorts verlangt man, daß sie immer mehr produzieren. Instrukteure,
Polizei und diverse Nichtstuerbanden bekommen immer bessere Talons, und
der Rest der Bevölkerung krepiert vor Hunger. Wieder nimmt die
Tuberkulose enorm zu.
Viele Leute beginnen zu fiebern, spucken Blut, also ab ins Spital, eventuell
gleich nach Marysin.
An den Fronten siegen die Deutschen angeblich wieder.
Wie man aus den Aufträgen an das Ghetto ersieht, rüsten sie
sich gründlich für den Winter
Das Ghetto liefert den Deutschen immer mehr, aber Essen kommt immer
weniger herein. Man saugt uns die letzten Lebenssäfte aus, ohne auf
längere Sicht für uns zu sorgen
27. Juli 1942 »Lebn wil ich«
Das Ghettotagebuch des Dawid Sierakowiak
Aufzeichnungen eines Siebzehnjährigen 1941/42 ©1993 reclam
Chronologie
zur Geschichte des Gettos Lódz'/Litzmannstadt
fotostrecke
von Henryk Ross fertigte zwecks einfacher kontrolle porträhfotos
für die jüdische Selbstverwaltung, die im Auftrag der Nazis
handelte und heimliche alltagsfotos
seite
"privater forsha" üba
das ghetto (wiki)
detailgenaue
Dissertation von Andrea Löw üba die Geschichte des Gettos
von Litzmannstadt/Lódz'
"Dostojewski hat einmal gesagt: »Ich fürchte nur eines:
meiner Qual nicht würdig zu sein.«
Aber nicht nur schöpferisches und genießendes Leben hat einen
Sinn, sondern: wenn Leben überhaupt einen Sinn hat, dann muß
auch Leiden einen Sinn haben. Gehört doch das Leiden zum Leben
irgendwie dazu - genau so wie das Schicksal und das Sterben. Not und Tod
machen das menschliche Dasein erst zu einem Ganzen.
Die Existenz des Häftlings in Konzentrationslagern
läßt sich definieren als »Provisorium ohne Termin«!
Ein Mensch nun, der nicht das Ende einer (provisorischen) Daseinsform
abzusehen imstande ist, vermag auch nicht, auf ein Ziel hin zu leben.
Er kann nicht mehr, wie der Mensch im normalen Dasein, auf die Zukunft
hin existieren. Dadurch aber verändert sich die gesamte Struktur
seines Innenlebens. Es kommt zu inneren Verfallserscheinungen, wie wir
sie von ändern Lebensgebieten her bereits kennen. In einer ähnlichen
psychologischen Situation befindet sich nämlich z.B. der Arbeitslose;..
In der Art, wie ein Mensch sein unabwendbares
Schicksal auf sich nimmt, mit diesem Schicksal all das Leiden, das es
ihm auferlegt, darin eröffnet sich auch noch in den schwierigsten
Situationen und noch bis zur letzten Minute des Lebens ein Fülle
von Möglichkeiten, das Leben sinnvoll zu gestalten Die meisten
Menschen im Konzentrationslager glaubten, die wahren Möglichkeiten
der Verwirklichung seien nun dahin - und in Wirklichkeit bestanden sie
eben darin, was einer aus diesem Leben im Lager machte: ein Vegetieren,
so wie die Tausende von Häftlingen, oder aber, so wie die Seltenen
und Wenigen, ein inneres Siegen
Diese junge Frau wußte, daß
sie in den nächsten Tagen werde sterben müssen. Als ich mit
ihr sprach, war sie trotzdem heiter. »Ich bin meinem Schicksal
dankbar dafür, daß es mich so hart getroffen hat«,
sagte sie zu mir wörtlich; »denn in meinem früheren,
bürgerlichen Leben war ich zu verwöhnt und mit meinen geistigen
Ambitionen war es mir wohl nicht ganz ernst«. In ihren letzten
Tagen war sie ganz verinnerlicht. »Dieser Baum da ist der einzige
Freund in meinen Einsamkeiten«, meinte sie und wies durchs Fenster
der Baracke. Draußen stand ein Kastanienbaum gerade in Blüte,
und wenn man sich zur Pritsche der Kranken hinabneigte, konnte man, durch
das kleine Fenster der Revierbaracke, eben noch einen grünenden Zweig
mit zwei Blütenkerzen wahrnehmen. »Mit diesem Baum
spreche ich öfters«, sagt sie dann.
Nietzsche: »Wer ein Warum zu leben
hat, erträgt fast jedes Wie.«
Die meisten hatten etwas, das sie aufrecht hielt, und meistens handelte
es sich hierbei um ein Stück Zukunft. Dem Menschen ist es nun einmal
eigen, nur unter dem Gesichtswinkel einer Zukunft, also irgendwie sub
specie aeternitatis, eigentlich existieren zu können. Zu diesem Gesichtspunkt
der Zukunft nimmt er daher in schwierigsten Augenblicken seines Daseins
auch immer wieder Zuflucht. Oft mag
dies in Form eines Tricks geschehen. Was mich selbst anlangt, erinnere
ich mich an folgendes Erlebnis: Fast weinend vor Schmerzen in den wunden
Füßen, die in offenen Schuhen staken, im grimmigen Frost und
eisigen Gegenwind, humpelte ich in langer Kolonne die paar Kilometer vom
Lager zum Arbeitsplatz. Mein Geist beschäftigte sich unablässig
mit den tausendfältigen kleinen Problemen unseres armseligen Lagerlebens:
Was wird es heute Abend zu essen geben? Soll ich die Scheibe Wurst, die
es vielleicht als Zubuße geben wird, nicht lieber für ein Stück
Brot eintauschen? Soll ich die letzte Zigarette, die mir von der »Prämie«
vor vierzehn Tagen verblieben ist, gegen eine Schüssel Suppe einhandeln?
Wie komme ich zu einem Stück Draht, um den gebrochenen zu ersetzen,
der mir als Schuhriemenersatz dient? Werde ich jetzt an der Baustelle
rechtzeitig den Anschluß an die gewohnte Arbeitsgruppe finden oder
aber in eine andere, zu irgendeinem wüsten und prügelnden Vorarbeiter
verschlagen werden? Und was könnte ich unternehmen, um mich mit einem
bestimmten Capo gut zu stellen, der mir zur Verwirklichung eines unwahrscheinlichen
Glücks verhelfen könnte, nämlich - als Lagerarbeiter im
Lager selbst verwendet zu werden und nicht mehr diesen furchtbaren täglichen
Marsch mitmachen zu müssen?
Schon ekelt mich dieser grausame Zwang an, unter dem all mein Denken sich
täglich und stündlich nur mit solchen Fragen abplagen muß.
Da gebrauche ich einen Trick: plötzlich sehe ich mich selber in
einem hell erleuchteten, schönen und warmen, großen Vor-tragssaal
am Rednerpult stehen, vor mir ein interessiert lauschendes Publikum in
gemütlichen Polstersitzen - und ich spreche; spreche und halte einen
Vortrag über die Psychologie des Konzentrationslagers!
Und all das, was mich
so quält und bedrückt, all das wird objektiviert und von einer
höheren Warte der Wissenschaftlichkeit aus gesehen und geschildert...
Und mit diesem Trick gelingt es mir, mich irgendwie über die Situation,
über die Gegenwart und über ihr Leid zu stellen, und sie so
zu schauen, als ob sie schon Vergangenheit darstellte und ich selbst,
mitsamt all meinem Leiden, Objekt einer interessanten psychologisch-wissenschaftlichen
Untersuchung wäre, die ich selber vornehme. Wie sagt doch Spinoza
in seiner »Ethik«?
»Affectus, qui passio est,
desinit esse passio simulatque eius claram et distinctam formamus ideam.«
(Eine Gemütsregung, die ein Leiden ist, hört auf, ein Leiden
zu sein, sobald wir uns von ihr eine klare und deutliche Vorstellung bilden.
Im Lager war es nun so: Ein kleiner Zeitabschnitt,
etwa der Tag - ausgefüllt mit den stündlichen Schikanen -, schien
schier endlos zu dauern; ein größerer Zeitabschnitt jedoch,
etwa die Woche - mit dem täglichen Einerlei -, schien unheimlich
rasch zu vergehen. Und meine Kameraden gaben mir immer recht, wenn ich
sagte: Im Lager dauert ein Tag länger als eine Woche!
Was die individuellen psychotherapeutischen
Versuche anlangt, stellten sie oftmals eine dringliche, ja eine lebensrettende
»Behandlung« dar. Galten doch solche Bemühungen vor allem
der Verhütung von Selbstmorden. War einmal ein Selbstmordversuch
unternommen, so bestand ein strengstens gehandhabtes Verbot, den betreffenden
Menschen zu retten. So war etwa das »Abschneiden« erhängt
vorgefundener Kameraden offiziell untersagt.
Der furchtbarste Augenblick
innerhalb der alltäglichen 24 Stunden des Lagerlebens war das Erwachen.
Wenn uns. die drei schrillen Pfiffe, die das »Aufstehen!«
kommandierten, noch zu halb nächtlicher Stunde aus dem Schlaf der
Erschöpfung und der Sehnsuchtsträume erbarmungslos herausrissen,
wenn es jetzt galt, den Kampf mit den nassen Schuhen aufzunehmen, in die
die wunden und vom Hungerödem geschwellten Füße kaum hineinzubringen
waren,
wenn man ansonsten tapfere Kameraden wie Kinder weinen hörte, weil
sie schließlich, die durch Feuchtigkeit zu eng gewordenen Schuhe
in der Hand tragend, bloßfüßig auf den verschneiten Appellplatz
hinauslaufen mußten - in diesen gräßlichen Minuten gab
es für mich einen schwachen Trost: ein vom Abend aufgespartes Stückchen
Brot aus der Tasche ziehen und - ganz hingegeben diesem Genuß -
es verzehren.
abgefertigung eines Krankentransport
im Lager. Auf zweirädrigen Karren, die von den Häftlingen
viele Kilometer weit durch den Schneesturm gezogen werden mußten,
bis man ins andere Lager kam, auf diesen Karren wurden die ausgezehrten
Leiber der zum Transport Bestimmten einfach nur so hinaufgeschmissen.
Gab es einen Toten, so mußte er mit dazu: die Liste mußte
stimmen! Die Liste ist das Wichtigste, der Mensch nur so weit wichtig,
als er eine Häftlingsnummer hat, buchstäblich nur mehr eine
Nummer darstellt. Tot oder lebendig - das gilt hier nicht mehr; das »Leben«
der »Nummer« ist irrelevant.
In dem Krankentransport z. B., mit dem ich als Arzt von einem bayrischen
Lager ins andere abging, gab es einen jungen Kameraden, der seinen Bruder
hätte zurücklassen müssen, weil der nicht auf die Liste
gekommen war. Er bettelte nun so lange beim Lagerältesten, bis sich
dieser entschloß, einen auf der Liste Befindlichen, der im letzten
Moment gerne noch ausgesprungen wäre, gegen den anhänglichen
Bruder auszutauschen. Die Liste aber mußte stimmen! Nichts leichter
als das: der anhängliche Bruder übernahm einfach Häftlingsnummer,
Vor- und Zunamen des an seiner Stelle zurückbleibenden Kameraden,
und umgekehrt. Denn, wie schon erwähnt, Dokumente besaßen wir
alle im Lager schon längst nicht mehr, und jeder war glücklich,
wenn er nichts weiter sein eigen nennen konnte, als diesen seinen trotz
allem noch atmenden Organismus.
Die Majorität der Häftlinge ist begreiflicherweise von einer
Art Minderwertigkeitsgefühl geplagt. Jeder von uns war einmal »Jemand«
oder glaubte zumindest, jemand gewesen zu sein. Jetzt aber, hier, wird
er buchstäblich so behandelt, als ob er ein Niemand wäre.
Ich denke nämlich hierbei an jene Minorität von Häftlingen,
die sozusagen als Prominente galten, an die Capos und Köche, Magazinverwalter
und »Lagerpolizisten« - sie alle kompensierten das primitive
Minderwertigkeitsgefühl; sie fühlten sich im allgemeinen keineswegs
deklassiert wie die »Majorität« der gewöhnlichen
Häftlinge, sondern nachgerade - arriviert. Ja, sie entwickelten mitunter
geradezu einen Cäsarenwahn en miniature. Die seelische Reaktion der
grollenden und neidvollen Majoritat auf das Verhalten der Minorität
machte sich auf verschiedene Weise Luft - gelegentlich auch in boshaften
Witzen. Ein andermal beginnen wir bei
minus 20 Grad Celsius in einem Wald die oberste, ganz hartgefrorene Erdschicht
aufzuhacken; eine Wasserleitung muß gelegt werden. Zu dieser Zeit
war ich körperlich schon sehr geschwächt. Der Arbeitsaufseher
kommt, pausbackig, rotwangig; sein Gesicht erinnert unbedingt an einen
Schweinskopf. Beneidenswert warme Handschuhe hat er an, fällt mir
auf, während wir bei dieser grimmigen Kälte ohne Handschuhe
dastehen, und eine pelzgefütterte Lederjacke. Eine Weile schaut er
mir stumm zu. Ich ahne Böses, weil doch die genau kontrollierbare
Menge bereits ausgehobener Erde vor mir liegt. Dann fängt er an:
»Du Schweinehund! Dich beobacht ich nun schon die ganze Zeit! Dir
werd ich das Arbeiten noch beibringen! Und wenn du den Boden mit den Zähnen
aufbeißen mußt! Du krepierst hier, dafür sorg ich schon!
In zwei Tagen mach ich dich hin! Du hast ja dein Lebtag nicht gearbeitet,
das sieht man gleich. Was warst du denn, du Sau? Geschäftsmann? He?«
Mir ist schon alles gleich. Seine Drohung, mich in Kürze zugrunde
zu richten, muß ich ja ernst nehmen. So richte ich mich auf und
sehe ihm fest in die Augen: »Ich war Arzt; Facharzt.« - »Was?
Arzt warst du? Ha, den Leuten hast du das Geld herausgelockt, das glaub
ich!« - »Herr Arbeitsführer: zufällig habe ich
meine Hauptarbeit unentgeltlich geleistet, in Ambulanzen für Arme.«
Das war aber zuviel gesagt. Jetzt stürzt er sich auf mich, stößt
mich zu Boden und brüllt wie ein Besessener ich weiß
nicht mehr was. Aber ich hatte Glück. Der Capo meiner Arbeitsgruppe
war mir sehr verpflichtet. Er hatte mich in sein Herz geschlossen, seitdem
ich seine Liebesgeschichten und Ehekonflikte während des stundenlangen
Marsches zum Arbeitsplatz mit sichtlichem beruflichem Verständnis
angehört und mit einer charakterologischen Diagnose über ihn
sowie psychotherapeutischen Ratschlägen einigen Eindruck auf ihn
gemacht hatte. Seither war er mir dankbar.
Wie fast alle Lagerinsassen litt
ich um diese Zeit schon an schweren Hungerödemen
Meine Beine waren so geschwollen, dadurch die Haut so prall gespannt,
daß ich die Kniegelenke nicht recht beugen konnte; die Schuhe aber
mußte ich offen lassen, um mit den geschwollenen Füßen
hineinzukommen. Schuhfetzen oder Socken, auch wenn es dergleichen gegeben
hätte, wären nicht mehr hineingegangen. So waren die halbnackten
Füße immer naß und in den Schuhen immer Schnee. Das hatte
natürlich alsbald Erfrierungen, aufgebrochene Frostschäden usw.
zur Folge. Buchstäblich jeder einzelne Schritt wurde zu einer
kleinen Höllenqual. Außerdem bilden sich beim Marsch über
die verschneiten Felder am defekten Schuhwerk Eisstollen. Immer wieder
stürzen die Kameraden hin und die nachfolgenden über die gestürzten.
Dann stockt der betreffende Teil der Kolonne beim Marsch, die Kolonne
reißt auseinander - aber nicht für lange. Denn sofort springt
einer der begleitenden Wachtposten herbei und haut mit dem Gewehrkolben
auf die Kameraden ein, damit sie nur rasch wieder »aufgehn«.
Je weiter vorn in der Kolonne du da marschierst, um so weniger wirken
sich die immer wiederkehrenden Störungen auf deine Reihe aus, um
so weniger mußt du also immer wieder stehen bleiben, um dann - trotz
deiner Schmerzen in den Füßen - im Laufschritt aufzuholen.
Wie glücklich mußte ich daher sein, als ehrenvoll berufener
Leib-und Seelenarzt des Herrn Capo neben ihm selber in der ersten Reihe
und daher in ganz gleichmäßigem Tempo marschieren zu dürfen.
Dieser Capo, ein ehemaliger Offizier, hatte sogar hier die Zivilcourage,
jenem über mich so erbosten Vorarbeiter abseits zuzuflüstern,
er kenne mich sonst als einen »guten Arbeiter«. Es nützte
nichts - aber diese eine meiner Lebensrettungen gelang trotz alledem:
der Capo schmuggelte mich am nächsten Tag einfach in ein anderes
Arbeitskommando hinein.
Es gab auch Vorarbeiter, die mit uns
Mitleid hatten und ihr Möglichstes taten, unsere Situation wenigstens
auf der Baustelle zu mildern. Zwar hielten auch sie uns immer wieder
vor, ein normaler Arbeiter leiste in kürzerer Zeit ein Vielfaches
von unserem Pensum. Aber sie waren zugänglich, wenn man ihnen entgegenhielt,
ein normaler Arbeiter lebe nicht von 300 Gramm (theoretisch; praktisch
weniger) Brot und einem Liter Wassersuppe im Tag; ein normaler Arbeiter
stehe nicht unter dem seelischen Druck wie wir, die wir von unseren ebenfalls
in Lager verschleppten oder aber gleich vergasten Angehörigen nichts
wissen; ein normaler Arbeiter stehe nicht unter der ständigen, täglichen
und stündlichen Todesdrohung wie wir usw. usw
Einem gutmütigen Vorarbeiter gegenüber konnte ich mir einmal
sogar leisten, zu bemerken: »Wenn Sie, Herr Vorarbeiter, in wenigen
Wochen so gut Gehirnpunktionen von mir lernen werden, wie ich diese Erdarbeiten
da von Ihnen, dann alle Achtung!« Und er schmunzelte.
Auch unter der Lagerwache gab es Saboteure.
Nach der Befreiung des Lagers stellte sich jedoch heraus, wovon bis dahin
nur der Lagerarzt (selber ein Häftling) wußte: der Lagerführer
(SS-Mann) hatte aus eigener Tasche nicht geringe Geldbeträge insgeheim
hergegeben, um aus der Apotheke des nahen Marktfleckens Medikamente für
seine Lagerinsassen besorgen zu lassen!
Die Geschichte hatte ein Nachspiel: Nach der Befreiung versteckten jüdische
Häftlinge den SS-Mann vor den amerikanischen Truppen und erklärten
deren Kommandanten gegenüber, sie würden ihm den SS-Mann einzig
und allein unter der Bedingung ausliefern, daß ihm kein Haar gekrümmt
wird.
Wenn ich mich z. B. daran erinnere,
wie mir ein Vorarbeiter (also ein Nicht-Häftling) eines Tages verstohlen
ein kleines Stück Brot reichte - von dem ich wußte, daß
er es sich von seiner Frühstücksration abgespart haben mußte
-, dann erinnere ich mich auch daran, daß es bei weitem nicht dieses
Stück Brot als materielles Etwas war, das mich damals buchstäblich
zu Tränen rührte; sondern es war das menschliche Etwas, das
dieser Mann mir damals gab, und das menschliche Wort sowie der menschliche
Blick, der die Gabe begleitete...
Menschliche Güte kann man bei allen Menschen finden, sie findet sich
also auch bei der Gruppe, deren pauschale Verurteilung doch gewiß
sehr nahe liegt. Es überschneiden sich eben die Grenzen! So einfach
dürfen wir es uns nicht machen, daß wir erklären: die
einen sind Engel und die ändern sind Teufel.
Die Apathie ist ein notwendiger Selbstschutzmechanismus
der Psyche. Die Wirklichkeit wird abgeblendet. Alles Trachten und damit
auch das gesamte Gefühlsleben konzentriert sich auf eine einzige
Aufgabe: die pure Lebenserhaltung - die eigene und die gegenseitige!
Zu der entstehenden Apathie und Gereiztheit
tritt aber noch ein weiteres ursächliches Moment hinzu: der Fortfall
jener Zivilisationsgifte, welche normalerweise eben Apathie und Gereiztheit
zu mildem die Aufgabe haben -, der Fortfall von Nikotin
und Coffein! So wird die Apathie und Gereiztheit nur noch gesteigert.
Ich habe es selber oft erleben müssen, wie sehr einem »die
Hand zuckt« und »auszurutschen« droht,
So war ich für die Reinlichkeit der Baracke - soweit solche Reinlichkeit
unter den gegebenen Umständen überhaupt in Frage kam vor der
Lagerverwaltung verantwortlich. Die große Augenauswischerei, zu
deren Zwecken die Baracke immer wieder inspiziert wurde, diente viel weniger
hygienischen Maßnahmen, als einfach der Quälerei. Mehr Essen
oder ein wenig Medikamente hätten gewirkt - aber man kümmerte
sich bloß darum, daß im Mittelgang kein Strohhalm lag und
die zerfetzten, bedreckten und verlausten Decken der Kranken am Fußende
schön in einer Linie ausgerichtet waren. War Inspektion angekündigt,
dann mußte ich dafür sorgen, daß dem Lagerführer
oder dem Lagerältesten, wenn sie sich duckten, um durch die Eingangstür
unserer Erdhütte einen flüchtigen Blick ins Innere zu tun, kein
Strohhalm auffiel, daß kein Stäubchen Asche vor dem Ofen lag
und dergleichen
Aber was das Schicksal der
in diesem Loch hausenden Menschen anlangte, genügte es der Inspektion,
daß ich, das Häftlingsbarett vom geschorenen Schädel herabreißend
und die Fersen zusammenknallend, forsch und stramm »meldete«:
Revierbaracke VI/9 - Belag 52 Fleckfieberkranke, 2 Pfleger, 1 Arzt. Und
schon waren die Inspizierenden weg. Bis es aber so weit war, daß
sie kamen - und sie kamen gewöhnlich viele Stunden später als
angekündigt (oder überhaupt nicht) -, war ich gezwungen, ununterbrochen
Decken auszurichten, von den Liegeplätzen herabfallende Strohhalme
aufzulesen und - mit den armen Teufeln, die alle Scheinordnung und Scheinreinlichkeit
noch im letzten Moment zu »schmeißen« drohten, herumzubrüllen.
Denn die Apathie und Abstumpfung, die bei den Fiebernden noch besonders
erhöht ist, läßt sie überhaupt nur reagieren, wenn
man sie heftig anschreit. Aber auch das versagt oft - und dann heißt
es eben wirklich mit aller Macht an sich halten, um nicht zuzuschlagen.
Denn die eigene Gereiztheit wird angesichts der Apathie der andern und
erst recht noch angesichts der Gefahr, in die man hierdurch bei der kommenden
Inspektion gerät, ins Unermeßliche gesteigert.
So vergeht dieser Tag, der letzte
unseres Lagers, in vorausgeahnter und innerlich vorweggenommener Freiheit.
Aber noch haben wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn trotz der
Versicherung des Delegierten vom Roten Kreuz, auf Grund eines Abkommens
dürfe das Lager nicht weiter evakuiert werden, ja trotz seiner Anwesenheit
im Marktflecken nahe dem Lager fahren nachts Lastautos vor mit SS, die
den Befehl überbringt, das Lager sofort zu räumen; die letzten
verbliebenen Häftlinge sollen in ein Zentrallager abtransportiert
werden, von wo sie innerhalb achtundvierzig Stunden in die Schweiz gebracht
und gegen Kriegsgefangene ausgetauscht würden. Die Mannschaft der
Lastautos ist als SS nicht wiederzuerkennen, so freundlich sind diese
Leute, während sie uns zureden, ohne ängstliche Bedenken einzusteigen
und uns auf die große Chance, die wir jetzt hätten, doch zu
freuen. Schon drängen sich diejenigen, die noch kräftig genug
sind, um zu drängen, auf die Lastautos; mühsam werden die Schwerkranken
und ganz Geschwächten auf die Plattform hinauf verladen
Mein Kollege und ich, unsere
Rucksäcke nun schon nicht mehr verbergend, wir stehen parat, sobald
für den vorletzten Wagen dreizehn Personen abgezählt werden.
Der Oberarzt teilt sie ein - zu fünfzehn stehen wir da; er aber zählt
gerade an uns beiden vorbei. Die dreizehn werden aufs Auto gebracht, wir
beide Zurückbleibende sind überrascht, enttäuscht, erbost,
und während das vorletzte Auto abrollt, machen wir dem Oberarzt Vorwürfe.
Er entschuldigt sich mit seiner Übermüdung und Zerstreutheit:
er habe irrtümlich geglaubt, wir dächten noch immer an Flucht.
Ungeduldig setzen wir uns wieder hin, die Rucksäcke am Rücken
behaltend, und warten mit den letzten paar Häftlingen auf den letzten
Wagen. Aber wir müssen lange warten
So legen wir uns auf die leergewordenen
Pritschen der Revierbaracke, total abgespannt vom »Nervenkrieg«
der letzten Stunden und Tage, von den einander ablösenden Hoffnungen
und Enttäuschungen (vom himmelhoch Jauchzen und dann wieder zu Tode
Betrübtsein). Wir sind »reisefertig«, wir bleiben in
Kleidern und Schuhen und schlafen ein. Da weckt uns der Lärm von
Gewehr- und Kanonenschüssen, der Lichtschein von Signalraketen, das
Pfeifen von Kugeln, die auch die Barackenwand durchschlagen; der Oberarzt
stürmt herein und kommandiert uns, auf dem Fußboden Deckung
zu suchen, und vom Stockbett über mir springt ein Kamerad mit
den Schuhen auf meinen Bauch: jetzt bin ich vollends wach. Bald
überblicken wir die Situation: die Front ist da! Die Schießerei
läßt nach, hört auf, der Morgen dämmert - und draußen,
auf dem Mast neben dem Lagertor, weht eine weiße Fahne. Aber erst
Wochen später haben wir, das kleine letzte Häuflein dieses Lagers,
erfahren, daß auch noch in den letzten Stunden das »Schicksal«
wieder einmal mit uns gespielt hat -, erfahren, wie fragwürdig alles
menschliche Entscheiden ist, und zwar gerade dort, wo es um Leben oder
Tod geht; im Hinblick auf die Kameraden, die in jener Nacht auf Lastautos
den Weg in die Freiheit zu fahren gewähnt hatten; denn Wochen später
lagen Photos vor mir, aufgenommen in einem kleinen Lager unweit dem unsrigen,
wohin meine Patienten gebracht worden waren und wo man sie in die Baracken
gesperrt hatte, die man dann anzündete. Auf den Photos kann man die
halbverkohlten Leichen sehen"
zitiert aus Viktor E. Frankl...trotzdem Ja zum Leben sagen
Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager
Ungekürzte Ausgabe 1. Auflage September 1982
anm trotzdem und nein sind eines meina liebstn wörter da dt sprache
wertungen sind imma irgendwie ungerecht, dennoch das werk von frankl ist
eines da wichtigstens als dokument der wahnsinnigen zeiten der nazjonalsozjalistishn
gewaltherrschaft und des lebens übahaupt
"Gegen die kirchlichen Jugendverbände gingen die Nazis seit
dem Frühsommer 1933 umfassend vor. Ende Dezember war es soweit: Reichsjugendführer
von Schirach und «Reichsbischof» Ludwig Müller unterzeichneten
das «Abkommen über die Eingliederung der evangelischen Jugend
in die Hitler-Jugend». Ein Auszug: «Die Jugendlichen des Evangelischen
Jugendwerks unter achtzehn Jahren werden in die HJ und ihre Untergliederungen
eingegliedert. Wer nicht Mitglied der HJ wird, kann fürderhin
innerhalb dieser Altersstufen nicht Mitglied des Evangelischen Jugendwerks
sein . . .
Die gesamten Mitglieder des Evangelischen Jugendwerks tragen den Dienstanzug
der HJ.
Alltag in der Hitler-Jugend
Melita Maschmann beschreibt die «Inhaltslosigkeit» und «Langweiligkeit»
des HJ-Betriebs.
«.. .da meine Eltern mir nicht erlaubten, Mitglied der Hitler-Jugend
zu werden, wurde ich es heimlich. Für mich begann jetzt meine
private <Kampfzeit>. was zunächst auf mich wartete, war eine
bittere Enttäuschung, deren Ausmaß ich mir nicht einzugestehen
wagte. Die Heimabende, zu denen man sich in einem dunklen und schmutzigen
Keller traf, waren von einer fatalen Inhaltslosigkeit. Die Zeit wurde
mit dem Einkassieren der Beiträge, mit dem Führen unzähliger
Listen und dem Einpauken von Liedertexten totgeschlagen, über deren
sprachliche Dürftigkeit ich trotz redlicher Mühe nicht hinwegsehen
konnte. Aussprachen über politische Texte - etwa aus <Mein Kampf>-
endeten schnell in allgemeinem Verstummen.
In meiner Gruppe war ich das einzige Mädchen,
das eine höhere Schule besuchte.
Die anderen waren Verkäuferinnen, Büroangestellte, Schneiderinnen
und Dienstmädchen.
Mein Wunsch, in die Gemeinschaft der arbeitenden Jugend aufgenommen zu
werden, hatte sich also erfüllt. Daß die Erfüllung eine
schmerzhafte Enttäuschung war, erklärte ich mir folgendermaßen:
Diese Mädchen entstammten dem Kleinbürgertum und blickten neidvoll
auf die <höheren Töchter>, denen ich zu entrinnen trachtete.
Sie waren nicht die Gefährtinnen, die ich suchte, nämlich Jungarbeiterinnen>.
Der Ausdruck ist jetzt weniger gebräuchlich. Damals bezeichnete er
die jungen Fabrikarbeiterinnen, von denen ich annahm, daß sie kein
kämpferisches Klassenbewußtsein hätten, und um deren Abwerbung
vom Kommunismus ich für die Volksgemeinschaft ringen wollte.
Ich hatte mich mit der <Arbeiterdichtung> beschäftigt und neigte
dazu, diese Fragen zu romantisieren ...» Ich war das, was man
ein <Märzveilchen> (spöttisch für jene, die vor dem
für April angekündigten Aufnahmestopp schnell noch der Partei
beitraten) nannte: Mein (zunächst heimlicher) Eintritt in die
Hitler Jugend datierte vom 1. März 1933, und alle anderen Führungsstellen
waren mit sogenannten <alten Kämpfern) besetzt. Sie zu respektieren
und zu bewundern war ich fraglos bereit, aber in der Praxis ergaben sich
Schwierigkeiten. Die wenigsten von ihnen gefielen mir. Eben weil ich ein
Märzveilchen und noch dazu Oberschülerin war, behandelten sie
mich mit Herablassung und ließen mich deutlich spüren, daß
ich nicht zu ihnen gehörte. Sie waren zum Teil von einer peinlichen
Grobschlächtigkeit und Primitivität und entsprachen - ich stellte
es bekümmert fest - dem Bild, das meine Mutter von <Proleten>
zu entwerfen pflegte.
Johanna, meine Untergauführerin ließ uns manchmal in Dreierreihen
über den Kurfürstendamm marschieren und einen Teil der Strecke
im Laufschritt zurücklegen. Dabei sollten wir möglichst laut
trampeln. <Hier wohnen die reichen Juden>, sagte sie, die sollen
ruhig mal ein bißchen im Mittagsschlaf gestört werden.
«Und setzet ihr nicht das Leben
ein» - Schulungsplan für Wehrertüchtigungslager
I. Unsere Feinde 1. Woche:
1. Schulungsstunde: Die Ursachen dieses Krieges
2. stunde: Das Judentum
3. stunde: Der Bolschewismus
4. stunde: Das anglo-amerikanische Weltherrschaftsstreben
5. Heimabend: Unser Freiheitskampf
II. Unsere Weltanschauung 2. Woche:
1.und 2. stunde: Der Rassengedanke
3. stunde: Das Volk
4. stunde: Fremdvolkpolitik
5. Heimabend: Gedenke, daß du ein Deutscher bist
3. Woche:
1. stunde: Unser Sozialismus
2. stunde: Persönlichkeit und Kampf
3. stunde: Rein bleiben und reif werden
4. stunde: Kamerad und Kameradin
5. Heimabend: Wer leben will, der kämpfe
III. Unser Führer 4. Woche:
1. stunde: Unsere Weltanschauung
2. und 3.stunde: Das Leben des Führers
4. Schulungsstunde:Das Werk des Führers
5. Heimabend:Führer und Gefolgschaft
5. Woche:
1. stunde: Die Geschichte der NSDAP
2. stunde: Aufbau und Aufgabe der NSDAP
3. stunde: Die Geschichte und Aufgabe der HitlerJugend
4. stunde: Die Leistung der Hitler-Jugend
5. Heimabend: Und setzet ihr nicht das Leben ein
IV. Unser Reich
6. Woche:
1. und 2.stunde: Der Kampf um das Reich
3. stunde: Der Kampf um den Osten
4. stunde: Das Reich als Aufgabe
5. Heimabend: Wir tragen und bauen das Reich
Schulzucht bedenklich gelockert- HJ kontra
Lehrerschaft
«Es ist selbstverständlich, daß die Autorität des
Lehrers innerhalb der Schule die höchste Autorität sein muß»,
so Baidur von Schirach 1934. So «selbstverständlich»
war das ganz und gar nicht. Kaum hatten die Nazis den Staatsapparat in
Händen, begannen sie, die Autorität der Lehrerschaft zu untergraben.
Im April 1933 wurde eine Generalamnestie für alle die Schüler
erlassen, die aus «nationalen Beweggründen» gegen die
Schulordnung verstoßen hatten:
Aber immerhin ist es etwas anderes, ob man einen Schüler tadelt,
der außerhalb des Unterrichts eine Gefolgschaft führt, oder
einen solchen, der eben nichts anderes als Schüler ist
Hier wird der Lehrer stets bestrebt sein müssen, die Autorität
des HJ-Führers vor seinen Kameraden nicht unnötig herabzusetzen
. . .
Wie Schüler es anstellten, sich vor
Hausaufgaben zu drücken, erzählt Erich Dressler:
«Das Paulsen-Realgymnaisum war ein ganz altmodischer Kasten. Für
Führerparolen wie "Die Schulung des Charakters ist wichtiger
als die Schulung des Geistes" hatten die Lehrer kein Verständnis.
Sie löcherten uns mit Latein und Griechisch, anstatt uns Sachen beizubringen,
die wir später gebrauchen konnten. Wir waren entschlossen, uns nicht
von ihren überholten Ansichten beeinflussen zu lassen und sagten
ihnen das ins Gesicht. Sie sagten zwar nichts dazu, denn sie hatten, glaube
ich, ein bißchen Angst vor uns, aber sie änderten auch nicht
ihre Lehrmethoden. So waren wir gezwungen, uns zu wehren.
Das war ziemlich einfach. Gab uns unser Lateinlehrer einen endlosen Abschnitt
aus Cäsar auf, so übersetzten wir einfach nicht und entschuldigten
uns damit, daß wir am Nachmittag Dienst in der Hitler-Jugend gehabt
hätten.
Einmal nahm einer von den alten Knackern allen Mut zusammen und protestierte
dagegen. Das wurde sofort dem Gruppenführer gemeldet, der zum Rektor
ging und dafür sorgte, daß dieser Lehrer entlassen wurde.
Der Gruppenführer war erst sechzehn, aber als Hitler-Jugendführer
konnte er nicht dulden, daß wir an der Ausübung unseres Dienstes,
der viel wichtiger als unsere Schulaufgaben war, gehindert wurden. Von
dem Tag an war die Frage der Hausaufgaben geklärt. Hatten wir keine
Lust dazu, dann waren wir eben (im Dienst) gewesen, und kein Mensch wagte,
irgend etwas dagegen zu
sagen.»
Die ideologische Befrachtung der Lehrpläne
beschränkte sich dabei keineswegs auf traditionell rechtslastige
Fächer wie Deutsch und Geschichte, gerade Mathematik und die Naturwissenschaften
wurden ganz und gar in den Dienst der Partei gestellt. Einen Einblick,
wie das konkret gemacht wurde, gibt eine Zusammenstellung einiger typischer
Rechenaufgaben aus dem <Handbuch für Lehren. Mathematik im Dienste
der nationalpolitischen Erziehung aus dem Jahre 1935:
«Aufgabe 44: Wieviel Kinder muß eine Familie haben,
damit der zahlenmäßige Bestand des Volkes gesichert ist?
Aufgabe 95: Der Bau einer Irrenanstalt erfordert 6 Millionen
RM. Wie viele Siedlungen zu je 15 000 RM hätte man dafür bauen
können?
Aufgabe 97: Ein Geisteskranker kostet täglich etwa 4 RM, ein
Krüppel 5,50 RM, ein Verbrecher 3,50 RM. In vielen Fällen hat
ein Beamter täglich nur etwa 4 RM, ein Angestellter kaum 3,50 RM,
ein ungelernter Arbeiter noch keine 2 RM auf den Kopf der Familie,
a) Stelle diese Zahlen bildlich dar. - Nach vorsichtigen Schätzungen
sind in Deutschland 300000 Geisteskranke, Epileptiker usw. in Anstaltspflege;
b) Was kosten diese jährlich insgesamt bei einem Satz von 4 RM?;
c) Wieviel Ehestandsdarlehen zu je 1000 RM könnten -unter Verzicht
auf spätere Rückzahlung - von diesem Geld jährlich ausgegeben
werden.
Ein moderner Nachtbomber kann 1800 Brandbomben
tragen. Auf wieviel Kilometer Streckenlänge kann er diese Bomben
verteilen, wenn er bei einer Stundengeschwindigkeit von 250 Kilometer
in jeder Sekunde eine Bombe wirft?
Wieviel Meter sind die Einschläge voneinander entfernt. . .?
Wieviel Quadratkilometer können zehn derartige Flugzeuge in Brand
setzen, wenn sie in seitlichen Abständen von fünfzig Metern
fliegen?
Wieviel Brände entstehen dabei, wenn ein Drittel der Abwürfe
Treffer sind und dann wieder ein Drittel zünden?»
Besondere Aufmerksamkeit schenkten die
Lehrplanautoren dem Fach Biologie, ließ sich hier doch, so glaubte
man wenigstens, die Minderwertigkeit der Juden überzeugend nachweisen.
Was da im einzelnen verbreitet wurde, belegen einige Auszüge aus
Aufsätzen, die im Fach «Rassenkunde» an der Hamburger
Meisterschule für Mode im Kriegs jähr 1944 geschrieben wurden:
«25. April 1944
Wir bezeichnen die nordische Rasse als die wertvollste der uns artverwandten
Rassen . . . Durch die edle Schönheit des nordischen Menschen hebt
sich die Rasse unter den anderen noch sehr hervor. (anm. die shönheit
liegt wie die wahrheitn im auge des betrachtas)
Deshalb ist man darauf bedacht, gerade diese Rasse möglichst rein
zu erhalten ... In Deutschland begegnet man dieser Gefahr des Herabsinkens
der nordischen Rasse durch die Aufnordung, die man anfängt auszuführen,
indem man Gesetze herausgegeben hat, wonach es verboten ist, daß
sich reinrassige Menschen mit fremdrassigen mischen. Danach darf ein Arier
keinen Juden heiraten oder einen Menschen, der einer artfremden Rasse
angehört. Dieses wird in Deutschland durch die Nürnberger Gesetze
verhindert.»
«2. Mai 1944
Wenn wir uns mit der Aufnordung befassen, denken wir nicht nur daran,
den nordischen Menschen in seinem Äußeren, was Schönheit
anbetrifft, zu erhalten, sondern es ist gerade auch hier besonders auf
die geistigen Fähig- und Tätigkeiten zu achten. Der heldische,
kämpferische Einsatz zeichnet den nordischen Menschen besonders aus.
Während oft Menschen anderer Rassen das Leben als das Höchste
ansehen, ist der nordische Mensch eher bereit zu sterben, als seine Ehre
zu verlieren. Seine Natur ist bestimmt durch vorherrschendes Führertum,
und der nordische Mensch ist frei und stolz. Die Arbeit bedeutet für
ihn etwas Selbstverständliches, ohne die er sich sein Leben nicht
denken kann. (anm. "die kunst des müßiggangs")
Er ist stets darauf bedacht, seine Leistungen zu erhöhen. Nur
aus solchen Menschen, die sich unterordnen und der Führung gehorchen,
können selbst einmal Führende werden. Eine richtig ausgesprochen
nordische Haltung finden wir bei unseren Soldaten vor . . .
«l2. Juni 1955
. . . 1935 wurde das Reichsbürgergesetz erlassen. Die staatsbürgerlichen
Rechte stehen nur Staatsgenossen zu, die deutschen Blutes sind. Weiter
wurde ein Gesetz herausgegeben zum Schütze des deutschen Blutes und
der deutschen Ehre. Ehe man einem Staatsgenossen die Reichsbürgerrechte
gab, wurde er gefragt, ob er sich für den Staat rückhaltlos
einsetzen und ihm dienen wolle.
Sagte der Staatsgenosse ja, war er Reichsbürger im Vollbesitz der
politischen Rechte ...
Entzogen wurden die Rechte der Reichsbürger nur den Kommunisten und
den staatsfeindlichen Elementen, vor allem aber den Juden. Diese sind
nicht alle gleich zu werten und zu behandeln. Danach, wieviel jüdische
Großeltern der einzelne hat, rechnet man und wertet sie danach ein.
Wer vier jüdische Großeltern hat, ist Volljude. Volljude ist
aber auch der, der drei jüdische Großeltern hat. Wer zwei jüdische
Großeltern hat, ist Mischling ersten Grades. Dieser ist nicht immer
wehrwürdig, kann aber als wehrwürdig erklärt werden. Mischling
zweiten Grades ist, wer nur einen jüdischen Großelternteil
hat. Dieser ist als wehrwürdig zu betrachten und ist auch vom Staat
wehrwürdig erklärt worden . . ."
Heute Zögling, morgen Führer
Wie die Nazis ihren Nachwuchs schulten
«Körperlich hart, charakterlich fest und geistig elastisch»,
so wünschte sich Adolf Hitler die deutschen Jungen für die «Nationalpolitischen
Erziehungsanstalten» (Napola) - Ausleseschulen, die dem «Dritten
Reich» eine stramme Führungselite für den Staat sichern
sollten. «Glauben, Gehorchen, Kämpfen» lautete das Motto
der Napola-Erziehung. Der Lehrplan ähnelte dem der herkömmlichen
Oberschulen, im Gegensatz zu den Inhalten, die in den «Adolf-Hitler-Schulen»
(AHS) vermittelt wurden. Sie waren in Konkurrenz zu den «Napolas»
des Erziehungsministeriums eine Gründung der NSDAP und der HJ. In
den «AHS» kam es nicht so sehr auf intellektuelle Weiterbildung
an, hier erhielt durch politische Schulung der Parteinachwuchs seinen
Schliff.
An den «AHS» gab es keine Zeugnisse, die Schüler bekamen
nur eine Beurteilung für die Parteiakten. Hitler ordnete aber an,
daß das Abschlußdiplom «seiner Schulen» dem Abitur
gleichgesetzt wurde.
(anm was galt das Abschlußdiplom nach 1945?)
Der Kruzifix-Streit
In der katholischen Bevölkerung wurde Protest laut. Nicht
etwa, weil Schulkinder mit «arischer» Mathematik indoktriniert
wurden oder Rassenkunde zum Hauptfach avancierte. Protestiert wurde, weil
die «Ausrottung der christlichen Religionsgemeinschaften»
drohte.
Was war passiert? In Oldenburg und Trier zum Beispiel, später auch
in Bayern, war angeordnet worden, die Kruzifixe aus den Schulräumen
zu entfernen, um Hitler-Bildern Platz zu machen.
Das Kruzifix mußte weichen. In mehreren Orten des Regierungsbezirks
Trier drangen daraufhin die Einwohner gewaltsam in die Schulen ein und
hängten die Kreuze an die alte Stelle zurück.
Für den Staatsanwalt Grund genug, Haftbefehl wegen Landfriedensbruch
zu erlassen.
In Bayern war der Widerstand der katholischen Bevölkerung noch hartnäckiger.
Im Monatsbericht der fränkischen Gendarmerie-Station Ebermannstadt
heißt es (Juni 1941):
«Der Erlaß des Staatsministers (für Unterricht und Kultur)
Adolf Wagner in München
über die gelegentliche Entfernung der Kruzifixe aus den Schulen hat
in den katholischen Bevölkerungskreisen viel Staub aufgewirbelt und
hat überall den schärfsten Widerstand ausgelöst.
Entfernt wurden bis jetzt keine Kruzifixe.»
Der Kruzifix-Erlaß erregte die Bevölkerung
mehr als der Einmarsch der deutschen Truppen in Rußland. Aus
dem Monatsbericht des Gendarmerie-Kreisführers (Juni 1941):
«Wie anderwärts wurden auch im Landkreis Ebermannstadtweite
Kreise der Bevölkerung durch die Maßnahmen des Führers
gegen die Sowjetrepubliken sichtlich überrascht. . .
Wesentlich ernster ist dagegen die Mißstimmung einzuwerten, die
der <Kruzifix-Erlaß> bei dem glaubenstreuen katholischen Landvolk
auslöste. Vielleicht seit Jahren erschütterte keine staatliche
Maßnahme bzw. Anordnung das Vertrauen so sehr, als dies hier geschah
. . .
Äußerungen des Inhalts, nun wisse
man, wie der Wagen laufe, nun lasse man sich durch nichts mehr hinter
das Licht führen, waren ungefähr noch das Mildeste, was zu hören
war. In Ebermannstadt lief die Äußerung um, wer ein Kruzifix
in der Schule antaste, dem müßten Hände und Füße
wegfaulen. Ein Bauer in Moggendorf bei Hollfeld, der drei Söhne
im Feld stehen hat, soll nach zuverlässiger Bekundung eines Gewährsmannes
gesagt haben, es wäre ihm lieber, die drei Buben würden an der
Front fallen, dann brauchten sie wenigstens nach dem Krieg in der Heimat
die noch schlimmeren Religionsfehden nicht mitzumachen.
In Hochstahl, das in der Butterablieferung mit an erster Stelle stand,
führte diese Maßgabe schlagartig zu einem starken Rückgang
der Butterabgabe, so daß diese Gemeinde fast an letzter Stelle sich
nunmehr befindet.
Hauptlehrer und Ortsgruppenleiter Bittel in Drosendorf
bei Ebermannstadt erklärte, es sei auf dem Lande für den Lehrer
praktisch unmöglich, diesen Erlaß zu vollziehen, da er sich
damit in seiner Gemeinde für immer unhaltbar machen würde. Nicht
nur, daß er wirtschaftlich boykottiert würde, es bliebe ihm
forthin auch jedes Vertrauen versagt. Ebenso bekundeten verschiedene
Landbürgermeister, daß sie lieber ihr Ehrenamt niederlegen,
als an der Beseitigung des Kruzifixes mitzuwirken. Der NSV-Kreisamtsleiter
Becher, Ebermannstadt, sah sich zur Meldung des Rückgangs der Sammelergebnisse
veranlaßt, vertraulich die Anweisung zu geben, von der Entfernung
der Kruzifixe in den Schulen Umgang zu nehmen. So ist praktisch der Erlaß
nicht nur unwirksam geblieben, sondern dem Vollzug stellten sich Schwierigkeiten
entgegen, die jedenfalls noch lange nachwirken werden. . ,
Der massenhafte Protest zahlte sich aus: Noch im selben Jahr wurde der
Kruzifix-Erlaß klammheimlich zurückgenommen. (anm, also
war´s doch nicht nur so, daß die menschn gar nix zu meldn
hattn und nur befehle von obm ausführen konntn)
Auf in die Geburtenschlacht
«Was der Mann an Opfern bringt im Ringen eines Volkes, bringt die
Frau an Opfern im Ringen um die Erhaltung dieses Volkes in den einzelnen
Fällen. Was der Mann einsetzt an Heldenmut auf dem Schlachtfeld,
setzt die Frau ein in ewig geduldiger Hingabe, in ewig geduldigem Leid
und Ertragen. Jedes Kind, das sie zur Welt bringt, ist eine Schlacht,
die sie besteht für das Sein oder Nichtsein ihres Volkes.»
Mit diesen Worten skizziert Adolf Hitler die Grundidee der NS-Familienpolitik.
Wie sah die Realität aus? Einen Einblick
in das nationalsozialistische Ideal von Ehe und Familie geben Zeitungsanzeigen
jener Jahre. Zwei Beispiele:
«Witwer, 60 Jahre alt, wünscht sich wieder zu verheiraten mit
einer nordischen Gattin, die bereit ist, ihm Kinder zu schenken, damit
die alte Familie in der männlichen Linie nicht ausstirbt.»
Hamburger Fremdenblatt, 5. Dezember 1935
«Zweiundfünfzig Jahre alter, rein arischer Arzt, Teilnehmer
an der Schlacht bei Tannenberg, der auf dem Lande zu siedeln beabsichtigt,
wünscht sich männlichen Nachwuchs durch eine standesamtliche
Heirat mit einer gesunden Arierin, jungfräulich, jung, bescheiden,
sparsame Hausfrau, gewöhnt an schwere Arbeit, breithüftig, flache
Absätze, keine Ohrringe, möglichst ohne Eigentum.»
Münchner Neueste Nachrichten, 25. Juli 1940
Seit Sommer 1933 erhielten Jungverheiratete
ein zinsloses Darlehen von durchschnittlich 600, höchstens 1000 Reichsmark
- viel Geld, wenn man bedenkt, daß ein Industriearbeiter etwa 120
RM im Monat nach Hause brachte. Für jedes Kind wurde die Darlehensschuld
um ein Viertel gekürzt.
Nach der Geburt des vierten Kindes wurde aus dem Darlehen ein Geschenk.
Bevor die Behörden die Ehestandsdarlehen auszahlten, erkundigten
sie sich zum Beispiel bei Gesundheitsämtern, Schulärzten, den
Wohlfahrtsstellen zur Betreuung Geisteskranker und natürlich in der
Partei. Zwischen August 1933 und Januar 1937 bestanden etwa 700000
Ehepaare, das sind etwa 25 Prozent der Hochzeitspaare in diesem Zeitraum,
die Prüfungen ihrer wirtschaftlichen, politischen und eugenischen
Eignung.
Bis 1938 wurden eine Million Ehestandsdarlehen im Wert von 650 Millionen
Reichsmark in Gutscheinen ausgegeben, die zum Kauf von Haushaltseinrichtungen
und Möbeln berechtigten. Wegen des Andrangs wurde das Darlehen auf
500 Mark begrenzt.
Abtreibung ist «Sabotage»
Bereits ab Mai 1933 verschärften die Nationalsozialisten die gesetzlichen
Bestimmungen, um die Zahl der Abtreibungen kräftig zu senken, jene
«Sabotageakte gegen Deutschlands rassische Zukunft». Alle
Kliniken für Geburtenkontrolle wurden geschlossen. Die Zahl der
gerichtlichen Verfahren wegen Abtreibung stieg von 4 539 im Jahre 1934
auf 6 983 vier Jahre später. Ärzte, die eine Abtreibung vorgenommen
hatten, wurden mit Gefängnis bis zu fünfzehn Jahren verurteilt.
Hilfswerk für Schwangere
Für die «förderungswürdige, erbtüchtige, hilfsbedürftige
deutsche Familie» bot das Hilfswerk «Mutter und Kind»
der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) soziale Maßnahmen
an.
Neben der «seelischen Betreuung» der Schwangeren durch monatliche
politische Plauderstunden im überschaubaren Familienkreis wurden
Ernährungsbeihilfen, Plätze in Mütterheimen und Kindertagesstätten
sowie Haushaltshilfen für kinderreiche Familien geboten, doch mangelte
es an Hilfskräften, um das Fürsorgesystem überall zu realisieren.
- Nach eigenen Angaben beriet das Hilfswerk 1935 600000 Schwangere.
Alljährlich am 12. August, dem Geburtstag
von Hitlers Mutter, wurden kinderreiche Mütter mit dem «Ehrenkreuz
der deutschen Mutter» ausgezeichnet. Es wurde in drei Klassen verliehen:
in Bronze für vier und mehr Kinder, in Silber für mehr als sechs
und in Gold für über acht Kinder. Inschrift des Mutterkreuzes:
«Das Kind adelt die Mutter».
Die Frankfurter Zeitung meldete am 6. Januar 1937:
«Wie die Reichskammer der bildenden Künste mitteilt, hat das
Rassenpolitische Amt der NSDAP die Bemerkung gemacht, daß in der
Öffentlichkeit vielfach Darstellungen aus unserer Zeit auftauchen,
die bildlich oder sinnbildlich die deutsche Familie bedauerlicherweise
noch mit einem oder zwei Kindern zeigten.
Der Nationalsozialismus bekämpfe mit Nachdruck das Zwei-Kinder-System,
da es das deutsche Volk unrettbar dem Untergang zuführe. Er vertrete
die Forderung nach mindestens vier Kindern in jeder Familie, um die heutige
Bevölkerungszahl wenigstens zu halten. Wo immer die künstlerischen
Notwendigkeiten es erlauben - und das werde in der Mehrzahl der Fälle
möglich sein -, solle auch der bildliche Künstler, besonders
der Maler und Gebrauchsgraphiker, sich das Ziel setzen, im Rahmen der
künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten wenigstens vier deutsche
Kinder zu zeigen, wenn eine <Familie> dargestellt werde.»
1938 legte die Reichsregierung ein Scheidungsreformgesetz
vor, nach dessen Bestimmungen als Scheidungsgründe anerkannt werden
konnten: Ehebruch, Nachwuchs Verweigerung, unehrenhaftes und unmoralisches
Betragen, Geisteskrankheit, ernste ansteckende Krankheit, dreijährige
Trennung der Ehepartner und Unfruchtbarkeit (außer in Fällen,
in denen vorher ein Kind gezeugt oder adoptiert worden war).
gefunden in "Alltag unterm Hakenkreuz Wie die Nazis das Leben der
Deutschen veränderten
Ein aufklärendes Lesebuch" von Harald Focke/Uwe Reimer
© 1979 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 580-ISBN349914431X
Die Rechte der Zeichnungen von Kurt Halbritter (aus: «Adolf Hitlers
Mein Kampf») liegen beim Hanser Verlag, München
"Mein Vater war Landarzt in einem Dorf in Oberösterreich.
Ich war zehn Jahre alt, als 1938 Soldaten Hitlers einmarschierten und
Österreich zu seinem Großdeutschen Reich kam. Ich war elf Jahre
alt, als Hitlers Soldaten in Polen einfielen und der zweite Weltkrieg
begann.
Als ich zur Schule ging, lehrte man mich,
das deutsche Volk sei eine Herrenrasse.
Es gäbe auch minderwertige Rassen, sagte man mir. Juden seien die
Feinde des deutschen Volkes, sagte man mir, daher gehörten sie vernichtet.
Meine Eltern waren keine Nationalsozialisten.
Sie glaubten nicht, daß es Herrenrassen und minderwertige Rassen
gäbe. Meine Eltern lehrten mich, daß Freiheit und Würde
des Menschen in jeder Diktatur bedroht sind.
Einer unserer Verwandten wohnte in Mauthausen,
jenem Ort an der Donau, wo die Nationalsozialisten eines ihrer großen
Konzentrationslager errichtet hatten.
Menschen wurden dort gequält und ermordet, nur weil sie Gegner der
Hitlerdiktatur waren, oder weil sie Juden waren, oder weil sie einem der
Völker angehörten, gegen die Hitler kämpfte.
Unser Verwandter hat das Konzentrationslager nie betreten dürfen,
aber was er von außen sah, war schrecklich genug. Er hat es uns
erzählt.
Wieviele Menschen in Hitlers Konzentrationslagern
ermordet wurden, erfuhren wir erst nach dem Krieg: 6 Millionen, davon
4,5 Millionen Juden.
Im letzten Kriegsjahr trieben Hitlers Soldaten auf ihrem Rückmarsch
viele Juden aus dem Osten nach Deutschland und Österreich. Das Konzentrationslager
Mauthausen wurde zu klein.
Auffanglager wurden errichtet. Eines dieser Lager befand sich in einem
Wald, in der Nähe unseres Dorfes. Das wurde geheimgehalten. Wir wußten
nichts davon.
1945 kam das Ende der Hitler-Diktatur. 55
Millionen Menschen hatten sterben müssen. Im Frühjahr 1945 marschierten
amerikanische Truppen in Oberösterreich ein. Sie öffneten die
Tore des Waldlagers. Keiner der Befreiten kam weit. Sie waren todkrank,
fast verhungert. Mein Vater errichtete in einem Barackenlager ein Notspital.
Drei der befreiten Juden, Ärzte aus Budapest, halfen ihm dabei ...
In dem niedrigen Raum war es dunstig. Die
Kranken mußten durstig sein. Ich lief in die Küche und holte
einen Krug mit dem dünnen, schwachen Kaffee ohne Zucker und füllte
die Becher neben den Betten. Nur zwei der Männer dankten, aber vielleicht
waren die anderen zu müde oder zu schwach. Michael, der Student,
sagte danke" und auch der Mann, der Imre hieß.
Er hatte ein trauriges, eingesunkenes Gesicht und eine dünne Nase.
Wenn er zu lächeln versuchte, wurde sein Gesicht noch trauriger.
Trotzdem gefiel es mir, wenn er lächelte.
Ich schob das Kissen des Jungen zurecht. Wie heißt du?"
fragte ich. Er antwortete nicht. (Fast alle Kranken verstanden deutsch,
aber es gab einige, die nur ungarisch oder polnisch oder rumänisch
sprachen.) Verstehst du mich?" Er nickte.
Sag mir deinen Namen!" bat ich.
Das gelbe, blasse Gesicht blieb ausdruckslos. Ich wollte ihm über
das Haar streichen, aber kaum hob ich meine Hand, hielt er den mageren
Arm vor sein Gesicht und vergrub es in dem strohgefüllten Sackleinwandkissen.
Ich setzte mich zu ihm und sagte: Hab doch keine Angst", aber
er hörte nicht auf zu zittern und wurde erst wieder ruhig, als ich
fortging.
Ich suchte Dr. Noht, und er sagte: Ich weiß den Namen des
Jungen nicht. Er selbst weiß ihn auch nicht." Aber seine
Eltern?"
Seine Eltern? Sie sind tot. Er
kam als kleines Kind in ein Lager. Ein Lager polnischer Kinder. Er ist
ein Pole. Mehr weiß man nicht." Niemand hatte dem Jungen gesagt,
wie er hieß. Das ist nicht wahr!" stieß ich
hervor. Dr. Noht nahm die Brille ab und reinigte die Gläser umständlich
mit dem Taschentuch. Es ist wahr", antwortete er, ging fort
und ließ mich stehen.
Niemand hatte den Jungen jemals mit einem Namen gerufen!
Als ich meine Hand auf sein Haar legen wollte, hatte er sich gefürchtet.
Er hatte geglaubt, es sei eine neue, noch unbekannte Art, ihm wehzutun.
Ich hatte mittags keinen Hunger und ging
erst spät am Abend heim.
Seit ich im Lager arbeitete, liebte ich mein Bett. Ich liebte es
auch an diesem Abend.
Und ich wußte nun, warum. Es war kühl, sauber und rein. Es
war wie eine Zuflucht vor dem Elend und der Armut der Baracken. Ich streckte
mich aus und strich mit den Fingerspitzen über die glatten weißen
Tücher. Durch das Fenster konnte man den Himmel sehen: Sterne, Mond,
Wolken oder nur Dunkelheit, je nachdem. Ich hörte das Fallen der
Tropfen auf den klaren Wasserspiegel des kleinen Brunnens im Garten. Der
Wind bewegte die Blätter der Bäume, und unser Hund lief über
die Kieswege. Als ich schon fast eingeschlafen war, kam mein Vater und
setzte sich an mein Bett.
Ich erzählte von dem Jungen, der seinen Namen nicht wußte.
Sein Bett sollte auch bald so weiß überzogen sein wie meines.
Warst du schon beim Kommandanten?"
Nein, Christi, morgen ..." Ich sagte: Vergiß nicht
darauf, Papa!"
Er küßte mich und ging wieder.
Ich stellte mir Imre und Michael und den Jungen ohne Namen in weißen
Hemden in weiß überzogenen Betten vor, ich stellte mir alle
Kranken in weißen Betten vor, und das Lager verwandelte sich, war
nicht mehr arm und nicht mehr häßlich
zitiert aus geh heim und vagiß alles von Käthe Recheis
3. AUFLAGE © HERDER & CO., WIEN 1980, 1981, 1982
DIE ERSTE FASSUNG DIESES BUCHES ERSCHIEN 1964 UNTER DEM TITEL DAS
SCHATTENNETZ"
anm da krieg is vorbei, aba nicht aus
weiter zu diversen
buchauszügen, zeitungszitaten
gegn nazis links keine freiheit
den feindn da freiheit
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