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Clare Hollingworth, First of the Female War Correspondents

Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas
Eine Dokumentation


Chas Kelfeit: Ich kann nicht schweigen

BUMI LAZAR ÜBERLEBEN IN PRESSBURG

Frauenprotest in der Rosenstraße

Muttertag und Mutterkreuz
Der Kult um die »deutsche Mutter« im Nationalsozialismus


Das Ghettotagebuch des Dawid Sierakowiak - Aufzeichnungen eines Siebzehnjährigen

Viktor E. Frankl...trotzdem Ja zum Leben sagen
Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager


Alltag unterm Hakenkreuz
Wie die Nazis das Leben der Deutschen veränderten


geh heim und vagiß alles 17jährige hilft nachda befreiung des kz mauthausen

diverse buchauszüge, zeitungszitate,...

 

"sie haben uns nicht zurückgeholt"
verlorene intelligenz osterreichische wissenschaftler 1918-1945


hitler, im stilmittel der bilderbögen
(fast comicformat)
text friedemann bedürftig

schwarzer, wolf, skin marie hagemann

exit 1neonazi steigt aus, kent lindahl

maus - die geschichte eines überlebenden, art spiegelman

gernot jochheim frauenprotest in der rosenstraße "gebt uns unsere männer wieder"

geduldet, geschmäht und vertrieben - salzburger juden erzählen

im toten winkel hitlers sekretärin

onkl hitler

Die ZEIT vom 17.03.1995
POLITIK Der Umbruch in Europa hat Österreich erfaßt.; Das alte System bröckelt, eine neues ist nicht in Sicht.; Rechter Terror erschreckt das Volk.; Die Regierung wirkt ratlos


DIE ZEIT vom 08.12.1995
DOSSIER DER ERREGER AUS DEN ALPEN Wer ist Jörg Haider - Populist, aggressiver Oppositioneller, ein neuer Hitler?


Die ZEIT vom 24.03.1995     DAS IST JA WIEDER TYPISCH!
Vergeßlichkeit, die - eines der Stichwörter, von denen die Österreicher...



der verdrängte antisemitismus:
fpö: nach alten vorbildern:
feindbilda von einst und jetzt
jörgl-jodler: freiheit der kunst:

zitiert aus: hans-henning scharsach, haiders kampf



nicht die braune brut ist die gefahr, sondan das rote gesindel. standard 5.10.1990
zitiert aus: wofür ich mich meinetwegn entschuldige - H- haider, beim wort genommen,

DIE ZEIT vom 24.02.2000 zitate aus Leserbriefen
GRENZT UNS NICHT AUS!


unvollständiges protokoll historischa aeignisse



"In August 1939, as a daring but inexperienced reporter, Clare Hollingworth sneaked alone over the German border and witnessed the first column of Nazi tanks mobilising to invade Poland. She broke the news of the start of the second world war to both her editor at The Daily Telegraph and the British and Polish authorities.
Hollingworth grew up in England during the first world war, in an era when planes were new technology and middle-class girls were educated only so they could become “lady housewives
”.She was set apart by youthful rebel­lion, early romances and forays into risky travel. (Her honeymoon with her first husband was at an Austrian ski resort where she could over­hear gossip by holidaying Nazi officers.) Fuelled by political idealism and wanderlust, she travelled to the continent as an activist. Before she took on her better-known role as a journalist, she had smuggled hundreds, if not thousands, of refugees away from the Nazi threat.
When weeds in her Paris garden irked her, she took a flamethrower to them. She was not a soul destined to stay still
" scmp
Of Fortunes and War: Clare Hollingworth, First of the Female War Correspondents
by Patrick Garrett Thistle Publishing



"Zwei Franzosen, die das Konzentrationslager Mauthausen überlebt haben - Pierre-Serge Choumoff und Jean Gavard -, haben die Initiative ergriffen.
Als wichtigste Quelle für die Dokumentation wurden Urkunden aus jener Zeit selbst herangezogen. Daß dies möglich war, ist dem Umstand zuzuschreiben, daß die Forderung der Funktionäre des NS-Regimes, an den Endsieg zu glauben, nahezu bis unmittelbar vor dem endgültigen Zusammenbruch die Vernichtung von Unterlagen ausschloß. Die alliierten Sieger fanden daher noch überraschend viel belastendes Material vor.

      Bereits im Planungsstadium hatte man zur Entwicklung eines geeigneten Tötungsmittels das Kriminaltechnische Institut (KTI) des Reichskriminalpolizeiamtes eingeschaltet, wo Kohlenmonoxyd für die geplante Großaktion als am besten geeignet festgestellt wurde.
Inzwischen war das ehemalige Zuchthaus Brandenburg/Havel als »Euthanasie«-Anstalt umgebaut worden. Dort fand dann Anfang Januar 1940 eine »Probevergasung« statt, die aber besser als Demonstrations-Vergasung bezeichnet werden könnte, da sie im wesentlichen dazu diente, die Vorteile der Vergasung gegenüber der Benutzung von Giften (Morphium-Scopolamin) zu demonstrieren. Die »Euthanasie«-Ärzte waren anwesend, auch Dr. Horst Schumann und Dr. Irmfried Eberl - diese, um als Leiter der beiden ersten »Reichsanstalten« in Grafeneck und Brandenburg in ihre künftige Aufgabe eingewiesen zu werden.

      Nach dem Eintreffen in der »Euthanasie«-Anstalt führten Pfleger die Kranken in den Auskleideraum und anschließend zum Fotografieren. Dann wurden die nackten Patienten nacheinander einem Arzt vorgeführt. Zweck der »Untersuchung«, die im Durchschnitt nicht mehr als eine bis drei Minuten dauerte, war es nur, die Identität der Vorgeführten zu überprüfen und festzustellen, ob eine »obergutachtliche Entscheidung« vorhanden war. Daneben prüfte man noch die Staatsangehörigkeit, da Ausländer nicht von der »Aktion« erfaßt wurden, ferner, ob es sich um Senile handelte oder um Kranke, die Kriegsauszeichnungen erhalten hatten, da diese nach den Richtlinien bis zur Entscheidung durch »Jennerwein« zurückgestellt werden mußten. Im übrigen diente die ärztliche Untersuchung vor allem dazu, die Kranken zu beruhigen und sie über die anschließenden Maßnahmen zu täuschen sowie Anhaltspunkte für eine fingierte Todesursache zu finden. Nach der »Untersuchung« erhielten die Kranken mit einem Farbstift, durch einen Hansaplaststreifen oder mit einem Gummistempel eine Nummer auf den Rücken, die zur späteren Identifizierung dienen sollte.
      Als sich später immer mehr Angehörige von »Euthanasie«-Opfern an die Anstalten wandten, sickerte durch, daß die Massen der abtransportierten Kranken planmäßig getötet wurden. Eine Reihe von Anstaltsärzten weigerte sich daraufhin, die Meldebogen auszufüllen, oder bescheinigte allen Kranken, bei denen dies auch nur irgendwie vertretbar war, ihre Arbeitsfähigkeit. In vielen Fällen wurden beurlaubte Kranke nicht mehr in die Anstalten zurückgerufen oder die Angehörigen heimlich aufgefordert, Patienten schleunigst nach Hause zu holen. Entlassungen wurden von zahlreichen Anstalten befürwortet, aber meist »von oben« abgelehnt. So hat etwa der Sachbearbeiter für das Irrenwesen im württembergischen Innenministerium, Dr. Mauthe, häufig die Entlassung von Kranken, die von Anstalten rückhaltlos befürwortet wurde, abgelehnt, obwohl er nach den Feststellungen des Landgerichts Tübingen berechtigt gewesen wäre zuzustimmen."
Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas - Eine Dokumentation
© 1983 S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main  ISBN-3-596-24353-X



Nun begannen halb amtliche, halb eigenmächtige Beschlagnahmen von Waren aller Arten aus jüdischen Geschäften und jüdischem Besitz. Mit großen Lastwagen eilten SA- und SS-Männer durch die Straßen, blieben vor den einzelnen jüdischen Geschäften stehen und forderten mit vorgehaltenen Revolvern die Ausfolgung von Waren. Ich beobachtete von meinem Geschäfte aus folgende Episode: Ein Lastauto, besetzt mit fünf uniformierten SA-Leuten fuhr vor, die Mannschaft sprang aus dem Auto, rissen die Revolver aus ihren Taschen, drei der Leute gingen von Geschäft zu Geschäft, während die anderen zwei beim Wagen stehen blieben und die neugierig gewordene Menge anschrien: „Weitergehen, wer stehen bleibt, wird erschossen".
      Vor meinem Geschäfte blieb ein Lastauto der Ankerbrotfabrik stehen, drei SA-Männer kamen zu mir ins Geschäft und verlangten als „freiwillige Spende" zwei Stücke Matratzengradl und 20 kg Spagat. Wer hatte sich getraut gegen diesen „nachdrücklichen" Wunsch einen Einwand zu erheben? Sie nahmen sich die Ware gleich, ohne weiter zu fragen, und verschwanden
Aus dem mir benachbarten Warenhaus Schiffmann, welches zu normalen Zeiten über 100 Angestellte beschäftigte, wurden acht Tage hindurch die Waren mit großen Lastautos verladen und verschleppt.
      Vor dem Warenhaus umlagerten Hunderte Menschen die riesigen Lastautos. Das Warenhaus wurde ausgeraubt und geschlossen. Die Inhaber dieses Warenhauses, die vier Brüder Schiffmann, wurden in sogenannte Schutzhaft genommen und in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Das Ausplündern des Warenhauses und Aufladen auf den Lastwagen wurde von „Sieg Heil"- und „Heil Hitlers-Rufen begleitet. Im Radio wurde bekanntgegeben, daß zum Polizeivizepräsidenten von Wien ein gewisser Fitztum ernannt wurde. Mir stieg das Blut zum Kopf. Dieser Fitztum, der Mörder meines Cousins Norbert Futterweit am 19. Juni 1933, wird Polizeivizepräsident einer Weltstadt wie Wien, und zwar als Belohnung dafür, daß er in feigster Weise gegen ahnungs- und wehrlose Menschen Bomben geworfen und hiefür zu lebenslänglichem Kerker verurteilt wurde.
      Der Vorfall hat sich folgendermaßen abgespielt:
In der Meidlinger Hauptstraße 21 befand sich das Juweliergeschäft des Norbert Futterweit, eines braven, 34jährigen Kaufmannes, Vater eines damals im neunten Lebensjahre stehenden Kindes, der sich nie im Leben irgendwie etwas zuschulden kommen ließ, nie einer politischen Partei angehört hatte und sich im Kriegsjahr 1917 freiwillig zum Militär gemeldet hat, und als Unteroffizier für seine Heimat kämpfte. Um 10 Uhr vormittag fuhren eines Tages zwei Burschen auf Fahrrädern vor, der eine reichte dem anderen ein Paket und dieser warf dasselbe in den Laden.
      Außer meinem Cousin befanden in diesem Augenblick sich noch eine 17jährige arische Verkäuferin und ein Uhrenvertreter im Geschäft. Mein Cousin sah aus dem bis an das andere Ende des Lokals rollenden Paket Rauch aufsteigen, ahnte als alter Frontsoldat die Gefahr, riß das Paket an sich, um es schleunigst aus dem Geschäft zu entfernen. Kaum gelangte er mit demselben an die Türschwelle, explodierte die in dem Paket befindliche Bombe in seinen Händen und riß ihn in Stücke. Ein älterer arischer Mann und eine arische Frau wurden ebenfalls getötet, als sie ahnungslos bei dem Geschäfte vorbeigingen. Die Verkäuferin erlitt schwere Augenverletzungen
       Die Täter flüchteten damals sofort nach Deutschland, wo sie aufgenommen wurden
Die Täter hießen Fitztum und Glass. Die Bombe wurde von einem gewissen Globocnig hergestellt. Fitztum wurde Aufseher im Konzentrationslager in Dachau.
Sofort nach dem Umsturz kamen diese in Deutschland so warm aufgenommene und als Helden gefeierte gemeinen Verbrecher in der Uniform österreichischer Legionäre nach Österreich zurück. Fitztum wurde aufgrund „seiner Verdienste" wie erwähnt Polizeivizepräsident, Globocnig wurde Gauleiter von Wien. Glass erhielt zum Lohn eine chemische Fabrik, welche einem Juden weggenommen wurde.
            Wir alle werden diese Minuten niemals vergessen können
Wir saßen nun auf den Strohsäcken, hielten die in Zeitungspapier gewickelten Habseligkeiten unter dem Arm und warteten der Dinge, die unser harrten.
Keiner von uns hatte weder einen Koffer oder anderes Gepäck, wurden doch wir alle plötzlich von der Straße weg oder aus dem Bett geholt und festgehalten. Der Polizeimann verlas nun 29 Namen und sollten sich diese in Zweierreihen auf dem Korridor aufstellen und auf den Aufruf warten
Auch ich befand mich auf dieser Liste.
Draußen wurden wir dem Alphabet nach aufgerufen und dem Dr. Lange vorgeführt
Endlich wurde mein Name aufgerufen und dem Dr. Lange vorgeführt. Dieser saß, die Zigarre im Munde, mit aufeinandergespreizten Beinen, zynisch lächelnd, vor einem Stoß Akten und sah mich nicht an, während er zu mir sprach. Auf dem Tische neben ihm lag ein Revolver. „So, so, zehn Wochen haben Sie Zeit, das ist doch ein Ausnahmsfall", sagte er
„Eines merken Sie sich", sprach er weiter, „wenn Sie nach dieser Zeit noch in Deutschland sind, dann kommen Sie nach Dachau, aber von dort kommen Sie nie mehr nach Hause"
     Ohne daß es die Angehörigen wußten, wurde der allergrößte Teil der Schutzhäftlinge, es waren noch 570 Personen im Hause, zeitlich früh zum Westbahnhof gebracht, von wo aus sie nach dem Konzentrationslager Dachau verschickt wurden. Zwei meiner Mithäftlinge, ein Rechtsanwalt namens Dr. Lunenfeld und ein I5jähriger Junge mit dem Namen Schreiber, kamen während des Transportes ums Leben. Ich hatte großes Glück, hatte dies aber nur meiner Frau zu verdanken, die beim amerikanischen Konsulat erreichte, daß ihr die Originaldokumente ausgefolgt wurden, mit welchem sie bei der Gestapo durch den berühmten Anwalt Dr. Führer durchsetzen konnte, daß sie vorgelassen wurde. Bis zum Alter von 45 Jahren, durfte kein arisches Mädchen in einem jüdischen Haushalt beschäftigt sein.
      Sofort nach meiner Entlassung aus der Haft mußte ich mich auf dem Polizeikommissariat melden und erhielt ich dort die Nummer 120 mit der Aufforderung, daß ich täglich während der Zeit zwischen 3 und 9 Uhr nachmittags zwecks Meldung zu erscheinen habe. Ich habe dabei immer den Beweis zu liefern, wie weit meine Ausreisebemühungen gediehen sind. Auf keinen Fall darf die Frist bis 9. September überschritten werden. Nun begann der Kampf um die Erlangung des Reisepasses.       Der erste Leidensweg war zur Finanzlandesdirektion
Dort mußte der Nachweis erbracht werden, daß kein Rückstand an Erbschafts- und Gebäudesteuer, sowie Taggebühren besteht. Bereits um 12 Uhr nachts mußte man sich anstellen, tausende Menschen frierten die ganze Nacht, um endlich gegen 11 Uhr vormittags einen Bogen zu erhalten, der am nächsten Tag ausgestellt eingereicht werden mußte
       Für die Einreichung dieses Formulares genügte es, daß man am nächsten Tag erst gegen 4 Uhr früh dort erscheinen mußte. Dann kam man gegen Mittag an die Reihe, damit war die Formalität aber noch nicht beendet, denn man erhielt einen Zettel, auf welchem ein Datum von ungefähr sechs Wochen später notiert war. Inzwischen mußte man von anderen Instanzen ebensolche Bestätigungen besorgen
   Vom magistratischen Bezirksamt war eine Bestätigung erforderlich, daß kein Rückstand an Mietaufwandsteuer, Portalsteuer, Fürsorgeabgabe und Hundesteuer besteht
Dann begann der Kampf bei der Steueradministration. Ebenso wie in den vorher genannten Ämtern mußte auch hier ein mit einem Zwei-Mark-Stempel versehenes Gesuch ausgefertigt werden
Man hatte es doch schließlich nur auf das Geld abgesehen, nicht davon zu sprechen, daß auch die Sekkatur an die Juden dabei eine große Rolle spielte
Wieder mußte man sich eine halbe Nacht und den darauffolgenden Vormittag in Schlangen vor dem Gebäude anstellen. Wenn man endlich das Glück hatte in das Gebäude eingelassen zu werden, wurde man von einem Zimmer in das andere geschickt. Die Herren Referenten hatten eine Freude daran, die „Juden" in jeder Art und Weise zu verspotten und zu verhöhnen
       Außerdem suchten diese Herren nach "alten Schulden", die eigentlich niemals bestanden haben und half kein Einwand, alle erfundenen Schulden mußten beglichen werden. In diesem Gebäude mußte man über folgende Steuern einen Nachweis, daß kein Rückstand besteht, erbringen: Einkommen-, Erwerb-, Warenumsatz-, Renten- sowie Zinsgroschensteuer.
Im Zimmer Nummer fünf passierte es mir, daß ich, als ich mit einigen anderen Glaubensgenossen in das Zimmer eingelassen wurde, mit folgenden Worten empfangen wurde: „Es ist doch unerhört, wie es hier nach Juden stinkt. Ihr verpestet doch hier die Luft."
Der Referent errechnete mir einen Rückstand von RM 1.560,—. Ich meinte, daß es ein Irrtum sein müßte, denn im Mai betrug der Rückstand RM 950,—. Ich habe den Mai-Beleg mitgenommen, es könne in dieser kurzen Zeit doch keine solche Schuld anwachsen
       „Ich mache Sie aufmerksam", sagte dieser gute Mann, „wenn Sie nicht sofort bezahlen, geht es nach Dachau." Mir war es doch um die Erlangung der Steuerunbedenklichkeits-Erklärung und damit um die Erlangung des notwendigen Reisepasses zu tun. Was kann ich denn anderes tun und bezahlen. Ohne Reisepaß gab es keine Möglichkeit zur Ausreise und ohne Ausreise bis zu diesem Termin gab es nur „Dachau".
Ein fürchterliches Wort und wenn dieses in den Gedanken kommt, so wird nichts unversucht gelassen, um diesen Betrag aufzubringen. Bei jeder Reklamation fand man nur taube Ohren. Es gab stets nur eine Antwort: „Zahlen Sie oder wollen Sie Dachau."
(anm, aba keina hat was gwußt)
Nun erklärte ich, daß ich gar nicht über einen solch großen Betrag verfüge
       Da wurde der Mann feundlicher und meinte: „Sie haben den Betrag bis zum 30. Juni zu erlegen.
In diesem Betrag ist die Vorauszahlung für das zweite Quartal mitinbegriffen. Sie melden heute das Gewerb ab und haben später keine weiteren Zahlungen zu leisten. Bringen Sie mir bis zum Termin das Geld und ich streich Ihnen die Verzugszinsen."
Was blieb mir anderes übrig, als den ganzen Betrag termingemäß zur Einzahlung zu bringen. Ich mußte das Geld auftreiben und wenn es für mich noch so schwer war. Schließlich hatte ich bereits das Geschäft gesperrt und keine Einnahmsquelle mehr. Die Außenstände waren nicht einzutreiben, da von Ariern an jüdische Lieferanten keine Schulden bezahlt wurden.
       Für Juden wurde im fünften Bezirk in der Wehrgasse eine eigene Paßstelle errichtet.
Gesuche um Ausstellung eines Reisepasses mußten dortselbst persönlich überreicht werden. Ein solches Ansuchen mußte folgendermaßen lauten: „Der unterfertigte Jude N. N. ersucht hiemit um Ausstellung eines Reisepasses und verpflichtet sich, nach erfolgter Ausreise niemals mehr in das Deutsche Reichsgebiet zurückzukehren." Selbstverständlich mußte auch dieses Ansuchen mit einem Stempel versehen sein. Nächtelang mußte man sich um das Gebäude anstellen, damit man endlich an die Reihe kommen kann.
Hatte man endlich das Glück, nach zwei bis drei dort zugebrachten Nächten an die Reihe zu kommen, erhielt man erst eine Nummer, mit der man berechtigt war am nächstfolgenden Tag wiederzukommen, man müsse sich nur auf der anderen Seite des Gebäudes anstellen. Wieder mußte man fünf bis sechs Stunden angestellt stehen, bis man endlich in das Gebäude gelassen wurde, um diesmal das Gesuch zu überreichen. Es kam öfters vor, daß zu spät Gekommene von Polizisten zum Auskehren der umliegenden Straßen verwendet wurden.
       Bei Abgabe des Gesuches erhielt man eine Karte, welche zur Ausstellung einer Paßanweisung beim zuständigen Polizeikommissariat ermächtigte. Wieder begann das Anstellen von vorne.
In der Nacht spielten sich beim Anstellen öfters Schreckensszenen ab, da junge Burschen es sich zum Vergnügen machten, die Angestellten mit Holzlatten, Eisenstangen und Knütteln auseinanderzutreiben. Dann warteten sie wieder, bis die Menge sich neuerlich gesammelt hatte, um dann das Spiel von vorne anzufangen. So gab es öfters dort viele Verletzte. Nach einigen Wochen erhielt ich vom Paßamt den Bescheid, daß ich mir den Paß abholen könne.
Dieses Dokument befindet sich noch heute in meinem Besitz und hat folgenden Wortlaut: „Der Jude Chaskel Futterweit hat bis 9. September 1938 auftragsgemäß das Deutsche Reichsgebiet zu verlassen, weshalb gebeten wird, ihn sogleich vorzunehmen. Wien, am 28. Juli 1938." Der Reisepaß kann eigentlich als Dokument nicht gewertet werden, denn trotzdem in diesem der Vermerk enthalten ist, „zur einmaligen Ausreise und Wiedereinreise in das Deutsche Reich gültig", ist dies eine glatte Lüge
  Chas Kelfeit: Ich kann nicht schweigen

Ende Januar 1945 „Gnädiger Herr, gnädiger Herr! Kommen Sie schnell herunter, die Piroschka hat im Klo entbunden!" — Das waren die Worte, die mich, kaum daß ich eingeschlafen war, wieder weckten. „Oh! Roze moj!"
       Erst am Nachmittag hatte ich meinen Koffer und meine wenigen Habseligkeiten in die Villa gebracht — mit den Gedanken: das ist endlich ein Platz, wo du wieder Mal für kurze Zeit ruhig und gefahrlos bleiben kannst. Die Befürchtung, daß schon zu viele Leute meine Adresse kennen würden, hatte mich bewegen, die Wohnung zu wechseln. Ich bezog ein Schlafzimmer im ersten Stock
Außer mir bewohnten nur die 70jährige Hausfrau und die Dienstmagd die unteren Räume der Villa.
       „Mein Herr, bitte, kommen Sie doch herunter und helfen Sie mir. Ich kann doch kaum auf den Füßen stehen." So etwas soll mir passieren! Ich dachte, daß sie so viele Unterröcke trägt!
Ich konnte doch nicht wissen, daß sie unter ihrem Herzen ein Kind trägt
!
       Was soll ich denn da machen?!"
Gleich morgens ging ich ins Spital, wo ich erfuhr, daß sowohl die Mutter wie auch das Kind leben. Ich wurde als Vater beglückwünscht und für meine gute Arbeit gelobt
Die Mutter bekam Kindbettfieber. Herr Dunand, dem ich den ganzen Vorfall mitgeteilt hatte, sorgte für einen vierwöchigen Aufenthalt von Mutter und Kind — auf Kosten des Roten Kreuzes in einem Sanatorium. Inzwischen hatte ich meine Dokumente in Ordnung gebracht und überreichte meiner Wirtin den polizeilichen Meldezettel. Jedesmal, wenn ich meinen Namen änderte, versuchte ich, soweit wie möglich, auch meinem Äußeren eine andere Note zu geben.
       Diese Verkleidung und meine Schlagfertigkeit retteten mich vor einer neuerlichen Verhaftung: Als ich nach dem Mittagessen wieder zur Arbeit ging, geriet ich zufällig in eine Straßensperre, durchgeführt vom deutschen Militär und einigen SS-Leuten. Es war nichts weiter als ein routiniertes Durchkämmen gewisser Straßen, was leider oft mit Erfolg endete
In solch eine Sperre geriet ich also und konnte nicht mehr heraus. Einige neugierige Passanten umstellten die Gruppe, in der über einen Ausweis diskutiert wurde, den der angehaltene Passant vorgezeigt hatte. Er sei gefälscht und nicht in Ordnung. Ich ließ mir keine Sekunde Zeit, drängte mich an die deutsche Gruppe heran und fragte mit lautem Gruß: „Heil Hitler, Hans, was gibts denn hier wieder?"
BUMI LAZAR ÜBERLEBEN IN PRESSBURG
das buch aus dem die zitate san, heißt: Chas Kelfeit: Ich kann nicht schweigen
„Die Wahrheit 38—45" 1988 by J & V Edition Wien


Frauenprotest in der Rosenstraße. Im März 1943 mitten in Berlin. Tagelang, nächtelang.
Ein Protest von vielen hundert Menschen, der dem damals 15jährigen Hans Grossmann,
seinem Vater und mehreren tausend anderer Juden das Leben rettet.
"Die Soldaten bauten die Maschinengewehre ab. Als sie die Munitionskästen schlössen, wurden wir alle plötzlich sehr still. Man hörte Weinen und Schluchzen. Zögernd fanden sich wieder jene ein, die in Todesangst vor den Maschinengewehren gewichen waren.
Da standen wir nun. Erst vereinzeltes Rufen. Dann wieder Sprechchöre: >Gebt unsere Männer frei! Unsere Kinder!< In jenen Minuten haben wohl viele von uns gespürt, daß aus unserem spontanen Protest eine Widerstandsaktion geworden war. Wir kämpfen ganz ohne Waffen.
Gegen Hitler. Gegen Goebbels. Gegen Himmler.«
Eine einmalige und erfolgreiche Widerstandsaktion in Nazi-Deutschland
Schritt für Schritt wurden in der Folgezeitjuden aus dem gesellschaftlichen und beruflichen Leben ausgeschlossen. Juden wurden aus dem kulturellen Leben, aus den Opern, den Schauspielhäusern, aus den Filmen vertrieben. Wer als Nichtjude noch geschäftliche, freundschaftliche oder andere private Kontakte zu Juden hatte, wurde von den Nazis und sogar in der Nazi-Presse wie dem »Stürmer« an den Pranger gestellt. Dann gab es eine Art Wettbewerb zwischen kleinen Städten und Dörfern.
Man wetteiferte darin, »judenfrei zu sein. Und dann wurden - im September 1935 - die »Nürnberger Gesetze« erlassen. Da erfanden die Nazi-Juristen unter anderem die Unterscheidung zwischen »Reichsbürgern« und »Staatsangehörigen«. Die Juden galten von nun ab nicht mehr als »Reichsbürger«, sondern sie waren nur noch »Staatsangehörige«. Das Ungeheuerliche an dieser Regelung war, daß damit in Deutschland, in einer ursprünglich bedeutenden Kulturnation, die Gleichheit aller Menschen geleugnet wurde. Für die Anerkennung dieses Grundsatzes war doch in der Menschheitsgeschichte und auch in Deutschland lange gekämpft worden!
Ein anderes dieser »Nürnberger Gesetze« bestimmte, daß Juden und Nichtjuden das Heiraten verboten wurde. Ein Gesetz, das für viele Menschen großes Leid brachte.
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       An die »Reichskristallnacht«, wie die Nazis dieses Ereignis nannten, drei Jahre später, erinnere ich mich aber sehr genau. »Kristallnacht« - das klingt irgendwie schön. Gemeint waren die Splitter der Glasscheiben von Synagogen und jüdischen Geschäften. Manche Straßen waren von Scherben übersät. Vor meinen Augen sehe ich noch immer das zertrümmerte und geplünderte Geschäft und meine verzweifelten Eltern
"Grausamkeit imponiert, die Leute brauchen den heilsamen Schrecken. Sie wollen sich vor etwas fürchten. Sie wollen, daß man ihnen bange macht und daß sie sich jemandem schauernd unterwerfen... Die Masse will das. Sie braucht etwas zum Grauen"Hitler
gernot jochheim Frauenprotest in der Rosenstraße
»Gebt uns unsere Männer wieder« EDITION HENTRICH

Der Kult sprach Frauen nur als Mütter an, weil nach der NS-Ideologie die »deutschen«Frauen eben nur Mütter zu sein brauchten, weiter nichts. Wenn Frauen außerhalb der Familie bzw. des Bauernhofs auftauchten, so war dies aus NS-Sicht schon fast eine Folge der »Entartung« des deutschen Volks, eine >Fehlentwicklung<, die wieder rückgängig gemacht werden mußte. In einer »Führerrede« von 1936 heißt es: »Es gibt zwei Welten im Leben eines Volkes: die Welt der Frauen und die Welt des Mannes. Die Welt der Frau ist, wenn sie glücklich ist, die Familie, ihr Mann, ihre Kinder, ihr Heim.« (Rede des Führers am Parteitag der Ehre 1936. München 1936)
anm, mit eine erklärung warumsi so viele alte üba emanzipatjon so sehr aufregn
   Die Nationalsozialisten störte bei der Betonung der alten »deutschen Tradition« des Muttertags nicht daß dieser zuerst in Amerika und von einer Amerikanerin, Ann Jarvis, propagiert worden war.
Jarvis forderte die Einführung eines »Mother's day« erstmals 1907. Die Idee des Muttertags machte von da an eine steile Karriere. Schon 1914 wurde er mit der »Mother's day bill« vom amerikanischen Kongreß zum Staatsfeiertag erklärt. In Deutschland wurde der Muttertag ab 1923 auf die Initiative des »Verbandes Deutscher Blumengeschäftsinhaber« hin propagiert und praktiziert, allerdings nicht als Staatsfeiertag. Der Verband hatte 1922 beschlossen, dem Beispiel Amerikas zu folgen und den Muttertag auch in Deutschland einzuführen.
     In der Muttertagsansprache des Völkischen Beobachters im Mai 1940 heißt es z. B.: »Viele Söhne unseres Volkes sind hingegangen, um dem Volk der Tat zu leben, und wenn es sein muß, dafür zu sterben. Fort und fort sehen die Mütter ihren Aufbruch. Und sie lassen sie ziehen, wie immer die Mütter ihre Söhne haben ziehen lassen. Wenn es aber bittereren Schmerz gibt als selbst diesen, den Sohn nicht wieder heimkehren zu sehen, dann ist's der, einen Sohn zu haben, der sich solchem Aufbruch verweigern wollte. Dann erst müßte sie sich wirklich von ihm verlassen fühlen, denn einmal würde sie spüren: Wer sein Volk aufgibt, gibt seine Herkunft auf, seine nächste Herkunft, die Mutter. (...)
Die Tat des Helden ist ein Geschenk an sein Volk. (...) Als dem ersten Menschen bringt sie der junge Kämpfer aber seiner Mutter dar. (...) Und was in aller Welt könnte ein Sohn mehr und Besseres tun für die, die ihn geboren hat?«
Sie sollen ihre »Heldentaten«, d. h. töten wie sterben, ihrer Mutter »darbringen«. In dieser Logik ist es natürlich schlimmer für eine Mutter, wenn der Sohn sich weigert, in den Krieg zu ziehen, und lieber leben will, als wenn er nie wieder aus dem Krieg zurückkommt.
In den Krieg zu gehen, um zu töten und eventuell zu sterben, wurde als Pflicht der Söhne (und Männer) gegenüber ihren Müttern (und Frauen) dargestellt. In den »Gedanken einer deutschen Mutter zum Muttertag 1943« sagt eine Frau: »So würde sich wohl heute jede deutsche Mutter für ihren Sohn schämen, täte er nicht, wie es sein Volk in der Stunde der Entscheidung von ihm verlangt, seine Pflicht und Schuldigkeit«
Ein öffentlich wirksamer Höhepunkt des nationalsozialistischen >Mutterkults< waren die Mutterkreuzverleihungen. An Weihnachten 1938 wurde Hitlers »Stiftung des Ehrenkreuzes der Deutschen Mutter« von Rudolf Heß in der Öffentlichkeit proklamiert. In dem kurzen Text der Stiftungsverlautbarung nannte Hitler das Mutterkreuz ein »sichtbares Zeichen des Dankes des Deutschen Volks an kinderreiche Mütter« ( Verordnung des Führers und Reichskanzlers über die Stiftung des Ehrenkreuzes der Deutschen Mutter vom 16.12.38, Reichsgesetzblatt vom 24.12.38, Nr. 224, S. 1923)
In Artikel 2 werden die »Voraussetzungen für die Verleihung« aufgezählt: »Das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter können Mütter erhalten, falls a) die Eltern der Kinder deutschblütig und erbtüchtig sind, b) die Mutter der Auszeichnung würdig ist, c)die Kinder lebend geboren sind.«
In Artikels wurden die Ehrenkreuze (offensichtlich nach dem Vorbild der olympischen Medaillen in drei Stufen eingeteilt: die dritte und niedrigste Stufe (Bronze) bekamen Mütter von vier und fünf Kindern. Die zweite Stufe (Silber) bekamen Mütter mit sechs und sieben Kindern und die dritte Stufe (Gold) bekamen Mütter, die acht oder mehr Kinder hatten.
Bevorzugte Behandlung. Muttertag und Mutterkreuz Der Kult um die »deutsche Mutter«
     
"Das Ehrenzeichen, kurz «Mutterkreuz» genannt, trug die Aufschrift «Der Deutschen Mutter» sowie «Das Kind adelt die Mutter». Es wurde alljährlich am Muttertag durch den Ortsgruppenleiter verliehen und verschaffte der Trägerin im Alltag einige Vorteile: Hitlerjungen mussten sie grüssen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln war ihr ein Sitzplatz sicher und auf dem Amt wurden ihre Anliegen bevorzugt behandelt" 20min.ch
     Die »Auslese« für die Verleihung war folgendermaßen geregelt: Die »Vorschläge«, welche Frau das Mutterkreuz bekommen sollte, wurden »vom Bürgermeister von Amts wegen oder auf Antrag des Ortsgruppenleiters der NSDAP oder des Kreiswarts des Reichsbundes der Kinderreichen aufgestellt«.
Die Vorschläge konnten also sowohl von der Partei wie einer staatlichen Stelle gemacht werden.
Der Bürgermeister legte alle Vorschläge anschließend »der unteren Verwaltungsbehörde« vor. Dies hieß praktisch, daß in sämtlichen vor Ort vorhandenen Akten nachgesehen wurde oder werden konnte, ob unter NS-Gesichtspunkten etwas gegen die Vorgeschlagenen sprach. Die »untere Verwaltungsbehörde«, die Ende 1938 schon »Listen« aller Art über die »Erbtüchtigkeit« der »deutschen Familien« vorliegen hatte, stellte »nach Einholung einer gutachterlichen Äußerung des Gesundheitsamtes das Einvernehmen mit dem Kreisleiter der NSDAP her«.
Die Listen der vorgeschlagenen Mütter wurden von der Verwaltungsspitze der Stadt oder Gemeinde zur Präsidialkanzlei weitergereicht, die die Besitzzeugnisse ausfüllte. Die Zeugnisse trugen nur die gedruckte Unterschrift Hitlers und die originale vom »Staatsminister und Chef der Präsidialkanzlei«.
Die »Aushändigung« der Mutterkreuze und Besitzurkunden sollten durch den jeweiligen Ortsgruppenleiter der NSDAP "am nächsten Muttertag, also im Mai 1939, geschehen.
Die »Durchführungsverordnung« enthielt auch die Bestimmung, daß Hitler (»der Führer«) das Mutterkreuz auf Vorschlag des Reichsinnenministers entziehen konnte.
   Für die »Überprüfung« der für das Mutterkreuz in Frage kommenden Mütter wurde ein extensiver bürokratischer Aufwand getrieben. Der Aufwand war so groß, daß für die Bearbeitung der Anträge neues Personal eingestellt wurde. Besonders die Gesundheitsämter, die die Erbkarteien führten, hatten viel zu tun. Die Hamburger Gesundheitsämter erklärten, »ohne zusätzliches Personal keine Anträge bearbeiten zu können« Der bürokratische Aufwand, der allein von den Gesundheitsämtern zur Feststellung der »Würdigkeit« oder »Unwürdigkeit« der Mütter aufgebracht wurde, wird von den Stellenanforderungen der Hamburger Gesundheitsverwaltung veranschaulicht, die zu diesem Zweck erhoben wurden: »28 Kräfte, die täglich vier Stunden nach 16 Uhr an der Erbkartei arbeiten. (...)
1 Bote mit Kraftwagen täglich 2 mal 2 Stunden. 24 Büroangestellte, davon mindestens die Hälfte imstande, gut Maschine zu schreiben für die volle Dienstzeit.« Auch die Hamburger Polizei und das Hauptverwaltungsamt forderten weiteres Personal, um die Mutterkreuzanträge zu prüfen.
Das Reichsinnenministerium rechnete im Juni 1939 mit der Bearbeitung von noch »etwa 4,5 Millionen Anträgen«.(Ministerialblatt des R. u. Pr. M. d. I., Nr. 23, 7.6.39, Laß, Rep. 208, acc. 61)
     Nach einem Bericht der Gauleitung Koblenz, der an die Präsidialkanzlei gerichtet war, war »eine ziemliche Verstimmung unter der Bevölkerung eingetreten, da die Frauen immer wieder auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet werden«. Die Gauleitung forderte, daß sämtliche Mutterkreuze »in nächster Frist« ausgegeben werden müßten. (Auszug aus dem Bericht der Gauleitung Koblenz vom 7.10.39, von der Reichspropagandaleitung weitergegeben an Präsidialkanzlei, Berlin, 9.10.1939, BA, NS 18/255)
    Da die Verleihung an alle restlichen bisher in Frage kommenden Mütter am l. Oktober 1939 nicht geklappt hatte -von den bis dahin angefertigten 5 Millionen Mutterkreuzen waren insgesamt erst 2,6 Millionen verliehen worden, davon 815000 goldene, 710000 silberne und 1088000 bronzene (Brief der Präsidialkanzlei an den Stellvertreter des Führers vom 3.11.39, BA, NS 18/255 1 Pro 4), wurde am Heiligabend, am 24. Dezember 1939 noch ein Zwischentermin für die Verleihungen eingeschoben.
Die restlichen Verleihungen sollten am Muttertag 1940 stattfinden.
Nach einer Aufstellung vom Oktober 1941 waren bis zum 30. September 41 insgesamt 4,7 Millionen Mutterkreuze verliehen worden, davon 1,2 Millionen goldene, fast ebenso viele silberne und 2,3 Millionen bronzene.(Propagandaleitung, Teichert an Thiessler, 30.10.1941, B A, NS 18/255) An den späteren Muttertagen sollten die Kreuze nur noch an die jüngeren Mütter vergeben werden, die gerade erst durch eine weitere Geburt für ein Ehrenkreuz oder für eine höhere Stufe des Ehrenkreuzes in Frage kamen. (Ministerialblatt des Reichs- und preussischen Ministeriums des Innern, 7.6.1939, RdErl. d. RMdl, vom 2.6.1939, Laß, Rep. 208, acc. 61; Schreiben des Oberbürgermeisters von Berlin 30.10.1939 mit Bezug auf Runderlaß des Reichsministers des Innern vom 10.10.39, Laß, Rep. 208, acc. 61)
In der Praxis kamen jedoch immer wieder noch ältere Mütter dazu.
    folgende Entscheidung zeigt, wie wichtig Hitler das Mutterkreuz war. Die Verleihung der meisten anderen zivilen Ehrenzeichen und Orden wurde nämlich für die Dauer des Krieges »im Zuge der Vereinfachung der Verwaltung« eingestellt. In einem Vermerk der Propagandaleitung an einen Mitarbeiter von Heß heißt es: »Nach telefonischer Feststellung bei der Präsidialkanzlei am 20.9. 1939 wird auf Anordnung des Führers die Verleihung des Ehrenkreuzes der Deutschen Mutter weiterhin durchgeführt. Der nächste Termin (I.Oktober) bleibt im allgemeinen bestehen. Nur in einzelnen Bezirken wird die Verleihung wegen Materialmangels und anderweitiger starker Inanspruchnahme der zuständigen Stellen hinausgeschoben werden müssen.« ( Propagandaleitung4 an Schmidt, Stab Heß, 22.9.39, BA, NS18/255 64 Verleihung des Ehrenkreuzes der dt Mutter, V.l., 35/472 v. 15.5.42, VAB, Bd. I, S. 349)
     Für den Muttertag 1942 stellten die Reichspropagandaämter fest, »daß häufig keine Kreuze verliehen werden konnten, weil von den Frauen keine Anträge eingereicht worden waren«.
Die Gründe hierfür wurden in der Zurückhaltung der Frauen und der »Umständlichkeit des Verfahrens« gesehen, dessen Bürokratie inzwischen der NSDAP selbst aufgefallen war. Außerdem versuche »die Kirche, den Wert des Mutterkreuzes herabzusetzen und die Antragstellung zu hintertreiben«. Die Umständlichkeit des Verfahrens beschrieb die Propagandaleitung folgendermaßen: »a) Vor der Verleihung wird die Ausfüllung eines Fragebogens zur Beantragung des Mutterkreuzes durch die Mutter selbst verlangt.
b) Nach der Verleihung des Kreuzes und der Besitzurkunde Ausfüllung eines neuen zweiseitigen Formulars und Einreichung zweier Lichtbilder, um den Ausweis zu erhalten, der erst zum Tragen des Mutterkreuzes berechtigt. Gleichzeitig werden noch zwei Karteikarten in großem Format ausgefüllt, die bei der Ortsgruppe verbleiben.
c) Aushändigung des Ausweises erst nach Monaten, vielfach nach einem Jahr, so daß während dieser Zeit das Mutterkreuz nicht getragen werden darf.«
Die Reichspropagandaleitung kritisierte diese Umständlichkeit, vor allem die Beantragung durch die Mutter selbst, sie bevorzugte die systematische Erfassung, die auf Initiative der Mutter oder deren Angehörigen verzichtete. ( Chef des Propagandastabes, Ref. Imhoff, an den Reichspropagandaminister, 17.6.42, B A, NS 18/255 74 Tätigkeitsbericht vom 14.12.42, a. a. O.)
  Vermutlich war es den örtlichen Propagandaleitungen ein Dorn im Auge, wenn in einem Ort am Muttertag keine Mutterkreuze zu verleihen waren, denn das konnte ja so verstanden werden, daß die Geburtenzahlen zurückgingen, die Mütter kein Interesse mehr am Mutterkreuz hatten oder alle hierfür nicht »würdig« waren. Je mehr deutsche Soldaten fielen, desto wichtiger wurde anscheinend die Anerkennung und Ehrung der Mütter bei den Mutterkreuzverleihungen für die Erhaltung der Loyalität der Frauen zum Regime angesehen. Eine Frau, der trotz vier oder mehr Kindern vom Staat wegen »Unwürdigkeit« das Mutterkreuz verweigert wurde, hätte sich fragen können, ob sie denn würdig sei, ihren Nachwuchs im Krieg für denselben Staat zu opfern.
    Zentrale Statistiken über Ablehnung bei der Mutterkreuzverleihung liegen nicht vor, da die Akten der Präsidialkanzlei in Berlin, zu der alle Mutterkreuzanträge hingeschickt wurden, weitgehend vernichtet sind. Nach einer Aufstellung des Amtsarztes von Grevenbroich bei Düsseldorf, die 1940 in »Der öffentliche Gesundheitsdienst« veröffentlicht wurde, wurden hier von den bis zum 1. Oktober 1939 gestellten 5028 Mutterkreuzanträgen 160, also 3,1 % abgelehnt. (auskunft im Bestandsverzeichnis des Bundesarchivs Koblenz) Im Durchschnitt dürften nicht mehr als 5% aller Mutterkreuzanträge abgelehnt worden sein. Zu den für das Mutterkreuz abgelehnten Frauen müssen die kinderreichen Jüdinnen und »Zigeunerinnen« dazugezählt werden, für die aus »rassischen« Gründen von vorneherein kein Antrag gestellt wurde. Auch sie waren vom Staat abgelehnte deutsche Mütter.
    Obwohl eine Ablehnung bei der Mutterkreuzverleihung schwerwiegende Nachteile mit sich bringen konnte, wie z. B. den Ausschluß von Kinderbeihilfen, konnte bei einer Ablehnung keine juristische Instanz angerufen werden. Es gab keine Prozesse um Mutterkreuzverleihungen.
Der Soldat, der das Eiserne Kreuz im Felde nicht bekommt, ist keineswegs als feige gebrandmarkt. Die Mutter jedoch, die, wie die Nachbarschaft und in kleinen Gemeinden der ganze Ort weiß, 4 und mehr Kinder geboren hat, ist in der ganzen Öffentlichkeit als unwürdig, d. h. als erbbiologisch oder asozial bloßgestellt, wenn sie trotz ihres Kinderreichtums das Ehrenkreuz nicht bekommt. ( Gaupropagandaleitung Ost-Hannover an Reichspropagandaleitung der NSDAP, 28.2.40)
    Die enttäuschten bzw. durch die Mutterkreuzablehnung benachteiligten Frauen oder ihre Ehemänner, Söhne und Töchter konnten nur versuchen, mit Bitt- oder Beschwerdebriefen zu ihrem Ziel zu kommen. Manchmal wurde die Entscheidung dann noch einmal überprüft. Das Ergebnis war jedoch ähnlich willkürlich wie die Ablehnung selbst, es blieb letzten Endes dem Kreis- bzw. Ortsgruppenleiter der NSDAP überlassen, wie er die neuerlichen Nachforschungen bewerten wollte.
Wenn die Behörden oder NS-Dienststellen einmal eine negative Ansicht von einer Familie hatten, dann wurde auch im Zweifelsfall alles Wissen über sie gegen sie ausgelegt. Wenn ein Kind etwa in einer psychiatrischen Anstalt war, und der NS-Blockleiter nichts »über den Gesundheitszustand der übrigen Kinder« erfahren konnte, schrieb er z. B.: »Es ist aber anzunehmen, daß auch diese nicht erbgesund sind.« (Blockleiter, Hamburg Lokstedt, 8.8.39, StaH 13 a)
   Wenn daran gezweifelt wurde, ob bei einem Sohn oder Ehemann eine Behinderung erblich oder - wie vom Betroffenen angegeben - eine Folge des Ersten Weltkriegs war, wurde auch eher Erblichkeit als Ursache angenommen. So konnten selbst die sonst so gelobten >Opfer für das Vaterland< gegen die Familien verwendet werden, wenn sie den Nationalsozialisten oder ihren Behörden nicht genehm waren. Ein NS-Kreisleiter schrieb u. a. in einem Brief, der die Mutterkreuzablehnung zum zweitenmal bekräftigen sollte: »Der Ehemann war vor einigen Jahren in der Irrenanstalt in Neustadt gewesen - ob aufgrund eines Kriegsleidens (er war im Weltkrieg verschüttet) konnte nicht festgestellt werden.« (NSDAP-Kreisleiter, 17.11.42, StaH 13 b)
    Ein Ortsgruppenleiter gab nach dem Besuch bei einer Frau, für die ein Mutterkreuzantrag gestellt wurde, u. a. folgendes zu Protokoll: »Der Sohn R. soll im ersten Schuljahr gut gelernt haben, hat dann aber einen Haarwurm bekommen, wobei das Gehirn angegangen sein soll, weshalb er auch beim Militär nicht angenommen ist. Beim Erbgesundheitsgericht hat Frau W. auch wiederholt diesetwegen vorsprechen müssen (wegen Sterilisierung).«(Ortsgruppenleiter 28.9.39, StaH 13b)
Aus NS-Sicht sprach es also gegen die Betroffene, wenn sie oder eines der Familienmitglieder einmal etwas mit dem Erbgesundheitsgericht zu tun gehabt hatten.
    Zwangssterilisationsverfahren waren immer bei den Gesundheitsämtern registriert.
Sie waren zum großen Teil von ihnen ausgegangen.
Die Gesundheitsämter führten in den Mutterkreuzformularen alle Zwangssterilisationen auf, die in der Familie der Frau vorgekommen waren. Da die NS-Erbbiologen behaupteten, »Erbkranke« würden sich besonders stark vermehren, kann man aufgrund einzelner Mutterkreuzakten zu der Vermutung kommen, daß, wenn eine dem Gesundheitsamt verdächtige Frau viele Kinder geboren hatte, diese Kinder noch eher zwangssterilisiert wurden, als wenn sie nur wenige Kinder gehabt hätte. So schreibt das Gesundheitsamt Spandau 1939 zum Mutterkreuzantrag für Frau A., 61 Jahre alt, Mutter von vier Kindern: »Es sind Tatsachen bekannt geworden, die gegen die Verleihung des Ehrenkreuzes der deutschen Mutter an Frau A. sprechen. Maßnahmen nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses sind in der Familie bereits durchgeführt.« Weiter heißt es: »Bei der Antragstellerin Frau A. sind in der Sippe folgende Mängel in Beziehung auf die Erbtüchtigkeit festgestellt worden: Ehemann: wegen Geisteskrankheit in Landesanstalt N. verstorben. Sohn W: 15.10.35 unfruchtbar gemacht wegen angeb. Schwachsinn. Sohn K.: 26.3.35 unfruchtbar gemacht wegen angeb. Schwachsinn. Tochter L.: 26.6.35 unfruchtbar gemacht wegen angeb. Schwachsinn.« (Stellungnahme des Gesundheitsamtes Spandau. Laß, Rep. 208, acc. 536, Nr. 63) Nur ein Sohn dieser Familie blieb unsterilisiert.
    Jedes unehelich geborene Kind wurde der Mutter zur Last gelegt.
Es gehörte von vorneherein zu den >Negativposten<. Bei einer Ablehnung heißt es z. B.: »Antragstellerin ist Psychopathin. Sämtliche Kinder sind unehelich geboren.« (Landrat von Detmold, 23.2.40, StaD, L 80 Ic, Gruppe XXIV, Fach 12, Nr. 411)
    Unverheiratete Mütter, die der Prostitution verdächtigt wurden, bekamen das Mutterkreuz natürlich auch nicht. Bei einer Frau heißt es kurz: »Der Antrag wird abgelehnt. 3 uneheliche Kinder von verschiedenen Vätern, die Antragstellerin stand 1937 unter gesundheitlicher Überwachung.« »Gesundheitliche Überwachung« bedeutete die Registrierung bei den Gesundheitsämtern als Prostituierte. Diese mußten sich einer Reihe von Kontrollen vor allem medizinischer Art unterwerfen. Gesetzliche Grundlage dieser Überwachung war das »Reichsgesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten« von 1927, das schon im Mai 1933 von den Nationalsozialisten novelliert, d.h. verschärft worden war. Nach dieser Novellierung konnten alle Frauen, die »auffällig« erschienen, »gesundheitlich überwacht« werden. Eine Frau, die den vom Gesundheitsamt oder von speziellen Überwachungsstellen gemachten Auflagen zu mehrmaligen wöchentlichen Untersuchungen nicht nachkam, wurde sofort polizeilich gesucht und, wenn gefunden, mit Gefängnis bestraft. Nach der Gefängnishaft wartete oft ein Arbeitserziehungslager oder sogar die Deportation in ein Konzentrationslager. Als Prostituierte registrierte Frauen wurden auch oft wegen »moralischem Schwachsinn« entmündigt (Zürn, a.a. O., S. 91 ff; Gisela Bock, »Keine Arbeitskräfte in diesem Sinn«, in: Pieke Biermann, Wir sind Frauen wie andere auch. Prostituierte und ihre Kämpfe. Hamburg 1980)      
anm und die freia san fein raus
Auch ein »unsittlicher Lebenswandel« der Töchter wurde der Mutter angelastet, da ja auch dieser als vererbt unterstellt wurde.
   Es wundert nicht, daß über den Zeugungsvorgang als »Ehrendienst am Volk« Witze gemacht wurden, wie in dem folgenden, in dem nicht nur das Gebären, sondern auch das Zeugen als ein Ehrendienst am Volk angesehen wurde: »An einem Nazifeiertag ist ein Haus nicht beflaggt. Man findet an der Haustür ein Schild: >Wi flaggt nicht binnen, wi flaggt nicht buten, wi legt in' Bett und mokt Rekruten. <

zitiert aus Muttertag und Mutterkreuz Der Kult um die »deutsche Mutter« im Nationalsozialismus
Irmgard Weyrather FischerTaschenbuchVerlag

"Fazit
Die Nationalsozialisten wollten zu Anfang, dass die Frau nur Mutter und Ehefrau war. Sie sollte viele Kinder bekommen und auf diese Weise den Fortbestand des Dritten Reiches sichern. Der Mann dagegen wurde als Ernährer und Beschützer dargestellt. Um den Frauen die Mutterschaft schmackhaft zu machen, betrieben sie einen großen Mutterkult und priesen sie als besonders wertvoll, da es ihre Aufgabe sei, dem Führer und den Volk neue Kinder zu schenken
" shoa.de

fotos vom Mutterkreuz, Mementoes, Badges, and other Nazi Artifacts      wikipedia    


Sonntag, 28. September 1941

Ich habe inzwischen die Stunde bei meinem Holzkopf aus der ersten Klasse verloren, die ich den ganzen Sommer über hatte. Er ist höchstwahrscheinlich zum zweiten Mal sitzengeblieben, weshalb seine Mutter schließlichen auf seine weitere Ausbildung verzichtet und als hochgestellte Person im Ghetto ihn ohne Mühe im Metall-Ressort untergebracht hat. Sie schuldet mir noch ein paar Mark, die ich mir - das habe ich im Gefühl -schwerlich abholen kann. Sie hat mich für Freitag zu sich bestellt. Doch es sieht so aus, als würde sie auch am Freitag nicht zahlen.
Dienstag, 30. September 1941

Heute haben wir Erew Jom Kippur. In unserer ehemaligen Schule ist eine Gruppe von Aussiedlern aus Lubraniec bei Wiociawek und aus Brzesc Kujawski eingetroffen. Sie sehen großartig aus, haben Gepäck bei sich und erzählen, es wäre ihnen durchaus nicht schlecht gegangen.
Interessant, daß sie die hiesigen Bedingungen gar nicht kennen und einen ziemlich großen Optimismus an den Tag legen. Sie sind sogar fröhlich und machen Scherze. Es sind Frauen verschiedenen Alters, Mädchen und Alte. Männer im besten Alter und Jungen sind nicht darunter. Die sind alle in Arbeitslagern.
Wenn alle im Ghetto bisher so zu essen gehabt hätten wie sie, gäbe es keine frischen Gräber auf dem Friedhof und keine so entsetzlich aussehenden Menschen. Ich habe mich mehr als eine Stunde mit ihnen unterhalten und kam zu dem Schluß, daß diese Menschen zwei Kriegsjahre gewonnen und das Schlimmste noch nicht durchgemacht haben.
Sonntag, 5. Oktober 1941
Heute haben sie in Marysin (anm. teil des ghettos Lódz'/Litzmannstadt  zuvor vorstadt)
einen Mann am Stacheldraht erschossen.
Ich sah, wie sie ihn auf einer Schubkarre auf den Friedhof schafften. Wollte er aus dem Ghetto heraus, oder ist das eine neue Serie von Toten im Ghetto? Weiß der Teufel.
Es geht immer weniger lustig zu im Ghetto, oh, immer weniger lustig!
Montag, 6. Oktober 1941
Heute sind, obwohl wir Sukkot haben, alle Werkstätten und Läden geöffnet.
Angeblich nehmen die Deutschen die Juden hart ran und wollen die reinsten Arbeitsautomaten aus ihnen machen, die keine anderen Bedürfnisse und Rechte besitzen.
Unterdessen gibt es schon seit etwa zehn Tagen wieder keine Kartoffeln mehr
Dienstag, 7. Oktober 1941
Heute nachmittag hat Rumkowski gesprochen
Er erklärte, man würde ihm noch 21 000 Leute schicken, davon 20000 aus dem Altreich.
(Die Aktion der Evakuierung und Umsiedlung hat schon begonnen, mehrere Familien hausen in einem Zimmer, pro Kopf sind 3,5m2 festgesetzt.)
Mittwoch, 8. Oktober 1941
Ich habe eine Generalaktion begonnen und renne herum nach Arbeit. Ich mobilisierte schon eine ganze Armee von Bekannten, die Beziehungen in den einzelnen Ressorts und Abteilungen haben. Vielleicht klappt es
Sonntag, 19. Oktober 1941
Es treffen noch mehr Deutsche ein. Heute welche aus Luxemburg. In der Stadt wird es voll. Sie tragen nur einen Flicken mit der Aufschrift »Jude« auf der linken Brust. Angezogen sind sie blendend - man sieht, daß sie nicht in Polen gelebt haben. Sie kaufen in der Stadt auf, was sie kriegen können. Alles ist um das Doppelte teurer geworden. Ein Brot kostet 12 - 13 Rm. Für Socken, die früher 70 Pf gekostet haben, zahlt man jetzt 2 Rm. Obwohl sie erst ein paar Tage da sind, klagen sie schon über Hunger. Was sollen wir sagen, die wir schon über ein Jahr nicht satt zu essen haben. Offenbar gewöhnt man sich an alles
Dienstag, 21. Oktober 1941
Aus dem Kork-Ressort wird wohl vorerst auch nichts. Das Schulamt will die Bestätigung nicht geben. Sie sind dort der Auffassung, an die Werkstatt sollen nur welche abgegeben werden, die sich zum Weiterlernen nicht eignen. Aber daß das Weiterlernen nicht in Sicht ist und man essen muß - davon spricht man nicht. Außer der einen festen und den gelegentlichen Aushilfestunden habe ich keine Stunden mehr. Maximal verdiene ich jetzt 15 Rm monatlich. Alle anderen Nachhilfestunden haben sich zerschlagen. Möglichst schnell arbeiten gehen!
Freitag, 19. Juni 1942
Nach mehreren Wochen leidlich warmem Wetter ist es wieder kalt geworden. Morgens unerhört frisch, und der überwiegende Teil des Tages bewölkt, obwohl es nicht regnet. Alles kriegsgerecht, mit ändern Worten -unzureichend. Selbst an Sonnenwärme fehlt es im Sommer.
Angeblich soll es in den Ressorts morgen statt Wurst Butter geben. Dabei werden sie uns natürlich ungeheuer übers Ohr hauen. Die aufs Brot gestrichene Butter abzuwiegen (es soll l Deka sein) ist ein Unding. Mein Zahn tut überhaupt nicht mehr weh, die Schwellung ist etwas zurückgegangen.
Die Dentistin erklärte mir heute, es bestünde die Möglichkeit, den Zahn zu behandeln und ihn nicht zu ziehen. Vielleicht wird etwas draus. In der Politik nichts Neues. Der Sommer geht zu Ende, und eine Lösung gibt es nicht.
Sonnabend, 20.Juni 1942
Heute erhielt ich auch das Foto, das wir vor einer Woche machen ließen. Wir sind nicht schlecht getroffen, wie wir so treuherzig die nimmersatten Ghettophysiognomien vorzeigen.
Auf diesem Bild sehe ich erst, in was für einem Zustand ich mich befinde. Die Todesanzeige schon in der Visage, wie es unverblümt im Ghetto heißt
Mittwoch, 24. Juni 1942
Vorerst ist es ein bißchen wärmer.
Ich werde immer träger und gleichgültiger. Das Leben ist immer schlimmer, immer farbloser und ganz und gar ohne Inhalt
Donnerstag, 25. Juni 1942
Es ist wieder kühl.
Zwei Tage lang war die Sonne »menschlich«, und schon ist sie abgekühlt.
Die Ernte wird in diesem Jahr vermutlich miserabel sein. Es kommt nichts ins Ghetto. Keinerlei Gemüse, nicht das kümmerlichste Grünzeug. Von den Ressorts verlangt man, daß sie immer mehr produzieren. Instrukteure, Polizei und diverse Nichtstuerbanden bekommen immer bessere Talons, und der Rest der Bevölkerung krepiert vor Hunger. Wieder nimmt die Tuberkulose enorm zu.
Viele Leute beginnen zu fiebern, spucken Blut, also ab ins Spital, eventuell gleich nach Marysin.
An den Fronten siegen die Deutschen angeblich wieder.
Wie man aus den Aufträgen an das Ghetto ersieht, rüsten sie sich gründlich für den Winter
Das Ghetto liefert den Deutschen immer mehr, aber Essen kommt immer weniger herein. Man saugt uns die letzten Lebenssäfte aus, ohne auf längere Sicht für uns zu sorgen
27. Juli 1942
   »Lebn wil ich«
Das Ghettotagebuch des Dawid Sierakowiak
Aufzeichnungen eines Siebzehnjährigen 1941/42 ©1993 reclam
Chronologie zur Geschichte des Gettos Lódz'/Litzmannstadt

fotostrecke von Henryk Ross fertigte zwecks einfacher kontrolle porträhfotos für die jüdische Selbstverwaltung, die im Auftrag der Nazis handelte und heimliche alltagsfotos

seite "privater forsha"                      üba das ghetto (wiki)

detailgenaue Dissertation von Andrea Löw üba die Geschichte des Gettos von Litzmannstadt/Lódz'



"Dostojewski hat einmal gesagt: »Ich fürchte nur eines: meiner Qual nicht würdig zu sein.«
Aber nicht nur schöpferisches und genießendes Leben hat einen Sinn, sondern: wenn Leben überhaupt einen Sinn hat, dann muß auch Leiden einen Sinn haben. Gehört doch das Leiden zum Leben irgendwie dazu - genau so wie das Schicksal und das Sterben. Not und Tod machen das menschliche Dasein erst zu einem Ganzen.
     Die Existenz des Häftlings in Konzentrationslagern läßt sich definieren als »Provisorium ohne Termin«! Ein Mensch nun, der nicht das Ende einer (provisorischen) Daseinsform abzusehen imstande ist, vermag auch nicht, auf ein Ziel hin zu leben. Er kann nicht mehr, wie der Mensch im normalen Dasein, auf die Zukunft hin existieren. Dadurch aber verändert sich die gesamte Struktur seines Innenlebens. Es kommt zu inneren Verfallserscheinungen, wie wir sie von ändern Lebensgebieten her bereits kennen. In einer ähnlichen psychologischen Situation befindet sich nämlich z.B. der Arbeitslose;..
     In der Art, wie ein Mensch sein unabwendbares Schicksal auf sich nimmt, mit diesem Schicksal all das Leiden, das es ihm auferlegt, darin eröffnet sich auch noch in den schwierigsten Situationen und noch bis zur letzten Minute des Lebens ein Fülle von Möglichkeiten, das Leben sinnvoll zu gestalten Die meisten Menschen im Konzentrationslager glaubten, die wahren Möglichkeiten der Verwirklichung seien nun dahin - und in Wirklichkeit bestanden sie eben darin, was einer aus diesem Leben im Lager machte: ein Vegetieren, so wie die Tausende von Häftlingen, oder aber, so wie die Seltenen und Wenigen, ein inneres Siegen
     Diese junge Frau wußte, daß sie in den nächsten Tagen werde sterben müssen. Als ich mit ihr sprach, war sie trotzdem heiter. »Ich bin meinem Schicksal dankbar dafür, daß es mich so hart getroffen hat«, sagte sie zu mir wörtlich; »denn in meinem früheren, bürgerlichen Leben war ich zu verwöhnt und mit meinen geistigen Ambitionen war es mir wohl nicht ganz ernst«. In ihren letzten Tagen war sie ganz verinnerlicht. »Dieser Baum da ist der einzige Freund in meinen Einsamkeiten«, meinte sie und wies durchs Fenster der Baracke. Draußen stand ein Kastanienbaum gerade in Blüte, und wenn man sich zur Pritsche der Kranken hinabneigte, konnte man, durch das kleine Fenster der Revierbaracke, eben noch einen grünenden Zweig mit zwei Blütenkerzen wahrnehmen. »Mit diesem Baum spreche ich öfters«, sagt sie dann.
     Nietzsche: »Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.«
Die meisten hatten etwas, das sie aufrecht hielt, und meistens handelte es sich hierbei um ein Stück Zukunft. Dem Menschen ist es nun einmal eigen, nur unter dem Gesichtswinkel einer Zukunft, also irgendwie sub specie aeternitatis, eigentlich existieren zu können. Zu diesem Gesichtspunkt der Zukunft nimmt er daher in schwierigsten Augenblicken seines Daseins auch immer wieder Zuflucht.      Oft mag dies in Form eines Tricks geschehen. Was mich selbst anlangt, erinnere ich mich an folgendes Erlebnis: Fast weinend vor Schmerzen in den wunden Füßen, die in offenen Schuhen staken, im grimmigen Frost und eisigen Gegenwind, humpelte ich in langer Kolonne die paar Kilometer vom Lager zum Arbeitsplatz. Mein Geist beschäftigte sich unablässig mit den tausendfältigen kleinen Problemen unseres armseligen Lagerlebens: Was wird es heute Abend zu essen geben? Soll ich die Scheibe Wurst, die es vielleicht als Zubuße geben wird, nicht lieber für ein Stück Brot eintauschen? Soll ich die letzte Zigarette, die mir von der »Prämie« vor vierzehn Tagen verblieben ist, gegen eine Schüssel Suppe einhandeln? Wie komme ich zu einem Stück Draht, um den gebrochenen zu ersetzen, der mir als Schuhriemenersatz dient? Werde ich jetzt an der Baustelle rechtzeitig den Anschluß an die gewohnte Arbeitsgruppe finden oder aber in eine andere, zu irgendeinem wüsten und prügelnden Vorarbeiter verschlagen werden? Und was könnte ich unternehmen, um mich mit einem bestimmten Capo gut zu stellen, der mir zur Verwirklichung eines unwahrscheinlichen Glücks verhelfen könnte, nämlich - als Lagerarbeiter im Lager selbst verwendet zu werden und nicht mehr diesen furchtbaren täglichen Marsch mitmachen zu müssen?
Schon ekelt mich dieser grausame Zwang an, unter dem all mein Denken sich täglich und stündlich nur mit solchen Fragen abplagen muß. Da gebrauche ich einen Trick: plötzlich sehe ich mich selber in einem hell erleuchteten, schönen und warmen, großen Vor-tragssaal am Rednerpult stehen, vor mir ein interessiert lauschendes Publikum in gemütlichen Polstersitzen - und ich spreche; spreche und halte einen Vortrag über die Psychologie des Konzentrationslagers!
      Und all das, was mich so quält und bedrückt, all das wird objektiviert und von einer höheren Warte der Wissenschaftlichkeit aus gesehen und geschildert... Und mit diesem Trick gelingt es mir, mich irgendwie über die Situation, über die Gegenwart und über ihr Leid zu stellen, und sie so zu schauen, als ob sie schon Vergangenheit darstellte und ich selbst, mitsamt all meinem Leiden, Objekt einer interessanten psychologisch-wissenschaftlichen Untersuchung wäre, die ich selber vornehme. Wie sagt doch Spinoza in seiner »Ethik«?
      »Affectus, qui passio est, desinit esse passio simulatque eius claram et distinctam formamus ideam.« (Eine Gemütsregung, die ein Leiden ist, hört auf, ein Leiden zu sein, sobald wir uns von ihr eine klare und deutliche Vorstellung bilden.
     Im Lager war es nun so: Ein kleiner Zeitabschnitt, etwa der Tag - ausgefüllt mit den stündlichen Schikanen -, schien schier endlos zu dauern; ein größerer Zeitabschnitt jedoch, etwa die Woche - mit dem täglichen Einerlei -, schien unheimlich rasch zu vergehen. Und meine Kameraden gaben mir immer recht, wenn ich sagte: Im Lager dauert ein Tag länger als eine Woche!
     Was die individuellen psychotherapeutischen Versuche anlangt, stellten sie oftmals eine dringliche, ja eine lebensrettende »Behandlung« dar. Galten doch solche Bemühungen vor allem der Verhütung von Selbstmorden. War einmal ein Selbstmordversuch unternommen, so bestand ein strengstens gehandhabtes Verbot, den betreffenden Menschen zu retten. So war etwa das »Abschneiden« erhängt vorgefundener Kameraden offiziell untersagt.
       Der furchtbarste Augenblick innerhalb der alltäglichen 24 Stunden des Lagerlebens war das Erwachen. Wenn uns. die drei schrillen Pfiffe, die das »Aufstehen!« kommandierten, noch zu halb nächtlicher Stunde aus dem Schlaf der Erschöpfung und der Sehnsuchtsträume erbarmungslos herausrissen, wenn es jetzt galt, den Kampf mit den nassen Schuhen aufzunehmen, in die die wunden und vom Hungerödem geschwellten Füße kaum hineinzubringen waren,
wenn man ansonsten tapfere Kameraden wie Kinder weinen hörte, weil sie schließlich, die durch Feuchtigkeit zu eng gewordenen Schuhe in der Hand tragend, bloßfüßig auf den verschneiten Appellplatz hinauslaufen mußten - in diesen gräßlichen Minuten gab es für mich einen schwachen Trost: ein vom Abend aufgespartes Stückchen Brot aus der Tasche ziehen und - ganz hingegeben diesem Genuß - es verzehren.
       abgefertigung eines Krankentransport im Lager. Auf zweirädrigen Karren, die von den Häftlingen viele Kilometer weit durch den Schneesturm gezogen werden mußten, bis man ins andere Lager kam, auf diesen Karren wurden die ausgezehrten Leiber der zum Transport Bestimmten einfach nur so hinaufgeschmissen. Gab es einen Toten, so mußte er mit dazu: die Liste mußte stimmen! Die Liste ist das Wichtigste, der Mensch nur so weit wichtig, als er eine Häftlingsnummer hat, buchstäblich nur mehr eine Nummer darstellt. Tot oder lebendig - das gilt hier nicht mehr; das »Leben« der »Nummer« ist irrelevant.
In dem Krankentransport z. B., mit dem ich als Arzt von einem bayrischen Lager ins andere abging, gab es einen jungen Kameraden, der seinen Bruder hätte zurücklassen müssen, weil der nicht auf die Liste gekommen war. Er bettelte nun so lange beim Lagerältesten, bis sich dieser entschloß, einen auf der Liste Befindlichen, der im letzten Moment gerne noch ausgesprungen wäre, gegen den anhänglichen Bruder auszutauschen. Die Liste aber mußte stimmen! Nichts leichter als das: der anhängliche Bruder übernahm einfach Häftlingsnummer, Vor- und Zunamen des an seiner Stelle zurückbleibenden Kameraden, und umgekehrt. Denn, wie schon erwähnt, Dokumente besaßen wir alle im Lager schon längst nicht mehr, und jeder war glücklich, wenn er nichts weiter sein eigen nennen konnte, als diesen seinen trotz allem noch atmenden Organismus.
Die Majorität der Häftlinge ist begreiflicherweise von einer Art Minderwertigkeitsgefühl geplagt. Jeder von uns war einmal »Jemand« oder glaubte zumindest, jemand gewesen zu sein. Jetzt aber, hier, wird er buchstäblich so behandelt, als ob er ein Niemand wäre.
Ich denke nämlich hierbei an jene Minorität von Häftlingen, die sozusagen als Prominente galten, an die Capos und Köche, Magazinverwalter und »Lagerpolizisten« - sie alle kompensierten das primitive Minderwertigkeitsgefühl; sie fühlten sich im allgemeinen keineswegs deklassiert wie die »Majorität« der gewöhnlichen Häftlinge, sondern nachgerade - arriviert. Ja, sie entwickelten mitunter geradezu einen Cäsarenwahn en miniature. Die seelische Reaktion der grollenden und neidvollen Majoritat auf das Verhalten der Minorität machte sich auf verschiedene Weise Luft - gelegentlich auch in boshaften Witzen.
     Ein andermal beginnen wir bei minus 20 Grad Celsius in einem Wald die oberste, ganz hartgefrorene Erdschicht aufzuhacken; eine Wasserleitung muß gelegt werden. Zu dieser Zeit war ich körperlich schon sehr geschwächt. Der Arbeitsaufseher kommt, pausbackig, rotwangig; sein Gesicht erinnert unbedingt an einen Schweinskopf. Beneidenswert warme Handschuhe hat er an, fällt mir auf, während wir bei dieser grimmigen Kälte ohne Handschuhe dastehen, und eine pelzgefütterte Lederjacke. Eine Weile schaut er mir stumm zu. Ich ahne Böses, weil doch die genau kontrollierbare Menge bereits ausgehobener Erde vor mir liegt. Dann fängt er an: »Du Schweinehund! Dich beobacht ich nun schon die ganze Zeit! Dir werd ich das Arbeiten noch beibringen! Und wenn du den Boden mit den Zähnen aufbeißen mußt! Du krepierst hier, dafür sorg ich schon! In zwei Tagen mach ich dich hin! Du hast ja dein Lebtag nicht gearbeitet, das sieht man gleich. Was warst du denn, du Sau? Geschäftsmann? He?« Mir ist schon alles gleich. Seine Drohung, mich in Kürze zugrunde zu richten, muß ich ja ernst nehmen. So richte ich mich auf und sehe ihm fest in die Augen: »Ich war Arzt; Facharzt.« - »Was? Arzt warst du? Ha, den Leuten hast du das Geld herausgelockt, das glaub ich!« - »Herr Arbeitsführer: zufällig habe ich meine Hauptarbeit unentgeltlich geleistet, in Ambulanzen für Arme.« Das war aber zuviel gesagt. Jetzt stürzt er sich auf mich, stößt mich zu Boden und brüllt wie ein Besessener — ich weiß nicht mehr was. Aber ich hatte Glück. Der Capo meiner Arbeitsgruppe war mir sehr verpflichtet. Er hatte mich in sein Herz geschlossen, seitdem ich seine Liebesgeschichten und Ehekonflikte während des stundenlangen Marsches zum Arbeitsplatz mit sichtlichem beruflichem Verständnis angehört und mit einer charakterologischen Diagnose über ihn sowie psychotherapeutischen Ratschlägen einigen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Seither war er mir dankbar.
     Wie fast alle Lagerinsassen litt ich um diese Zeit schon an schweren Hungerödemen
Meine Beine waren so geschwollen, dadurch die Haut so prall gespannt, daß ich die Kniegelenke nicht recht beugen konnte; die Schuhe aber mußte ich offen lassen, um mit den geschwollenen Füßen hineinzukommen. Schuhfetzen oder Socken, auch wenn es dergleichen gegeben hätte, wären nicht mehr hineingegangen. So waren die halbnackten Füße immer naß und in den Schuhen immer Schnee. Das hatte natürlich alsbald Erfrierungen, aufgebrochene Frostschäden usw. zur Folge. Buchstäblich jeder einzelne Schritt wurde zu einer kleinen Höllenqual. Außerdem bilden sich beim Marsch über die verschneiten Felder am defekten Schuhwerk Eisstollen. Immer wieder stürzen die Kameraden hin und die nachfolgenden über die gestürzten. Dann stockt der betreffende Teil der Kolonne beim Marsch, die Kolonne reißt auseinander - aber nicht für lange. Denn sofort springt einer der begleitenden Wachtposten herbei und haut mit dem Gewehrkolben auf die Kameraden ein, damit sie nur rasch wieder »aufgehn«. Je weiter vorn in der Kolonne du da marschierst, um so weniger wirken sich die immer wiederkehrenden Störungen auf deine Reihe aus, um so weniger mußt du also immer wieder stehen bleiben, um dann - trotz deiner Schmerzen in den Füßen - im Laufschritt aufzuholen. Wie glücklich mußte ich daher sein, als ehrenvoll berufener Leib-und Seelenarzt des Herrn Capo neben ihm selber in der ersten Reihe und daher in ganz gleichmäßigem Tempo marschieren zu dürfen.
Dieser Capo, ein ehemaliger Offizier, hatte sogar hier die Zivilcourage, jenem über mich so erbosten Vorarbeiter abseits zuzuflüstern, er kenne mich sonst als einen »guten Arbeiter«. Es nützte nichts - aber diese eine meiner Lebensrettungen gelang trotz alledem: der Capo schmuggelte mich am nächsten Tag einfach in ein anderes Arbeitskommando hinein.
     Es gab auch Vorarbeiter, die mit uns Mitleid hatten und ihr Möglichstes taten, unsere Situation wenigstens auf der Baustelle zu mildern. Zwar hielten auch sie uns immer wieder vor, ein normaler Arbeiter leiste in kürzerer Zeit ein Vielfaches von unserem Pensum. Aber sie waren zugänglich, wenn man ihnen entgegenhielt, ein normaler Arbeiter lebe nicht von 300 Gramm (theoretisch; praktisch weniger) Brot und einem Liter Wassersuppe im Tag; ein normaler Arbeiter stehe nicht unter dem seelischen Druck wie wir, die wir von unseren ebenfalls in Lager verschleppten oder aber gleich vergasten Angehörigen nichts wissen; ein normaler Arbeiter stehe nicht unter der ständigen, täglichen und stündlichen Todesdrohung wie wir usw. usw
Einem gutmütigen Vorarbeiter gegenüber konnte ich mir einmal sogar leisten, zu bemerken: »Wenn Sie, Herr Vorarbeiter, in wenigen Wochen so gut Gehirnpunktionen von mir lernen werden, wie ich diese Erdarbeiten da von Ihnen, dann alle Achtung!« Und er schmunzelte.
     Auch unter der Lagerwache gab es Saboteure. Nach der Befreiung des Lagers stellte sich jedoch heraus, wovon bis dahin nur der Lagerarzt (selber ein Häftling) wußte: der Lagerführer (SS-Mann) hatte aus eigener Tasche nicht geringe Geldbeträge insgeheim hergegeben, um aus der Apotheke des nahen Marktfleckens Medikamente für seine Lagerinsassen besorgen zu lassen!
Die Geschichte hatte ein Nachspiel: Nach der Befreiung versteckten jüdische Häftlinge den SS-Mann vor den amerikanischen Truppen und erklärten deren Kommandanten gegenüber, sie würden ihm den SS-Mann einzig und allein unter der Bedingung ausliefern, daß ihm kein Haar gekrümmt wird.
     Wenn ich mich z. B. daran erinnere, wie mir ein Vorarbeiter (also ein Nicht-Häftling) eines Tages verstohlen ein kleines Stück Brot reichte - von dem ich wußte, daß er es sich von seiner Frühstücksration abgespart haben mußte -, dann erinnere ich mich auch daran, daß es bei weitem nicht dieses Stück Brot als materielles Etwas war, das mich damals buchstäblich zu Tränen rührte; sondern es war das menschliche Etwas, das dieser Mann mir damals gab, und das menschliche Wort sowie der menschliche Blick, der die Gabe begleitete...
Menschliche Güte kann man bei allen Menschen finden, sie findet sich also auch bei der Gruppe, deren pauschale Verurteilung doch gewiß sehr nahe liegt. Es überschneiden sich eben die Grenzen! So einfach dürfen wir es uns nicht machen, daß wir erklären: die einen sind Engel und die ändern sind Teufel.
      Die Apathie ist ein notwendiger Selbstschutzmechanismus der Psyche. Die Wirklichkeit wird abgeblendet. Alles Trachten und damit auch das gesamte Gefühlsleben konzentriert sich auf eine einzige Aufgabe: die pure Lebenserhaltung - die eigene und die gegenseitige!
      Zu der entstehenden Apathie und Gereiztheit tritt aber noch ein weiteres ursächliches Moment hinzu: der Fortfall jener Zivilisationsgifte, welche normalerweise eben Apathie und Gereiztheit zu mildem die Aufgabe haben -, der Fortfall von Nikotin und Coffein! So wird die Apathie und Gereiztheit nur noch gesteigert.
Ich habe es selber oft erleben müssen, wie sehr einem »die Hand zuckt« und »auszurutschen« droht,
So war ich für die Reinlichkeit der Baracke - soweit solche Reinlichkeit unter den gegebenen Umständen überhaupt in Frage kam vor der Lagerverwaltung verantwortlich. Die große Augenauswischerei, zu deren Zwecken die Baracke immer wieder inspiziert wurde, diente viel weniger hygienischen Maßnahmen, als einfach der Quälerei. Mehr Essen oder ein wenig Medikamente hätten gewirkt - aber man kümmerte sich bloß darum, daß im Mittelgang kein Strohhalm lag und die zerfetzten, bedreckten und verlausten Decken der Kranken am Fußende schön in einer Linie ausgerichtet waren. War Inspektion angekündigt, dann mußte ich dafür sorgen, daß dem Lagerführer oder dem Lagerältesten, wenn sie sich duckten, um durch die Eingangstür unserer Erdhütte einen flüchtigen Blick ins Innere zu tun, kein Strohhalm auffiel, daß kein Stäubchen Asche vor dem Ofen lag und dergleichen
       Aber was das Schicksal der in diesem Loch hausenden Menschen anlangte, genügte es der Inspektion, daß ich, das Häftlingsbarett vom geschorenen Schädel herabreißend und die Fersen zusammenknallend, forsch und stramm »meldete«: Revierbaracke VI/9 - Belag 52 Fleckfieberkranke, 2 Pfleger, 1 Arzt. Und schon waren die Inspizierenden weg. Bis es aber so weit war, daß sie kamen - und sie kamen gewöhnlich viele Stunden später als angekündigt (oder überhaupt nicht) -, war ich gezwungen, ununterbrochen Decken auszurichten, von den Liegeplätzen herabfallende Strohhalme aufzulesen und - mit den armen Teufeln, die alle Scheinordnung und Scheinreinlichkeit noch im letzten Moment zu »schmeißen« drohten, herumzubrüllen. Denn die Apathie und Abstumpfung, die bei den Fiebernden noch besonders erhöht ist, läßt sie überhaupt nur reagieren, wenn man sie heftig anschreit. Aber auch das versagt oft - und dann heißt es eben wirklich mit aller Macht an sich halten, um nicht zuzuschlagen. Denn die eigene Gereiztheit wird angesichts der Apathie der andern und erst recht noch angesichts der Gefahr, in die man hierdurch bei der kommenden Inspektion gerät, ins Unermeßliche gesteigert.
      So vergeht dieser Tag, der letzte unseres Lagers, in vorausgeahnter und innerlich vorweggenommener Freiheit. Aber noch haben wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn trotz der Versicherung des Delegierten vom Roten Kreuz, auf Grund eines Abkommens dürfe das Lager nicht weiter evakuiert werden, ja trotz seiner Anwesenheit im Marktflecken nahe dem Lager fahren nachts Lastautos vor mit SS, die den Befehl überbringt, das Lager sofort zu räumen; die letzten verbliebenen Häftlinge sollen in ein Zentrallager abtransportiert werden, von wo sie innerhalb achtundvierzig Stunden in die Schweiz gebracht und gegen Kriegsgefangene ausgetauscht würden. Die Mannschaft der Lastautos ist als SS nicht wiederzuerkennen, so freundlich sind diese Leute, während sie uns zureden, ohne ängstliche Bedenken einzusteigen und uns auf die große Chance, die wir jetzt hätten, doch zu freuen. Schon drängen sich diejenigen, die noch kräftig genug sind, um zu drängen, auf die Lastautos; mühsam werden die Schwerkranken und ganz Geschwächten auf die Plattform hinauf verladen
      Mein Kollege und ich, unsere Rucksäcke nun schon nicht mehr verbergend, wir stehen parat, sobald für den vorletzten Wagen dreizehn Personen abgezählt werden. Der Oberarzt teilt sie ein - zu fünfzehn stehen wir da; er aber zählt gerade an uns beiden vorbei. Die dreizehn werden aufs Auto gebracht, wir beide Zurückbleibende sind überrascht, enttäuscht, erbost, und während das vorletzte Auto abrollt, machen wir dem Oberarzt Vorwürfe. Er entschuldigt sich mit seiner Übermüdung und Zerstreutheit: er habe irrtümlich geglaubt, wir dächten noch immer an Flucht. Ungeduldig setzen wir uns wieder hin, die Rucksäcke am Rücken behaltend, und warten mit den letzten paar Häftlingen auf den letzten Wagen. Aber wir müssen lange warten
       So legen wir uns auf die leergewordenen Pritschen der Revierbaracke, total abgespannt vom »Nervenkrieg« der letzten Stunden und Tage, von den einander ablösenden Hoffnungen und Enttäuschungen (vom himmelhoch Jauchzen und dann wieder zu Tode Betrübtsein). Wir sind »reisefertig«, wir bleiben in Kleidern und Schuhen und schlafen ein. Da weckt uns der Lärm von Gewehr- und Kanonenschüssen, der Lichtschein von Signalraketen, das Pfeifen von Kugeln, die auch die Barackenwand durchschlagen; der Oberarzt stürmt herein und kommandiert uns, auf dem Fußboden Deckung zu suchen, und vom Stockbett über mir springt ein Kamerad mit den Schuhen auf meinen Bauch: jetzt bin ich vollends wach. Bald überblicken wir die Situation: die Front ist da! Die Schießerei läßt nach, hört auf, der Morgen dämmert - und draußen, auf dem Mast neben dem Lagertor, weht eine weiße Fahne. Aber erst Wochen später haben wir, das kleine letzte Häuflein dieses Lagers, erfahren, daß auch noch in den letzten Stunden das »Schicksal« wieder einmal mit uns gespielt hat -, erfahren, wie fragwürdig alles menschliche Entscheiden ist, und zwar gerade dort, wo es um Leben oder Tod geht; im Hinblick auf die Kameraden, die in jener Nacht auf Lastautos den Weg in die Freiheit zu fahren gewähnt hatten; denn Wochen später lagen Photos vor mir, aufgenommen in einem kleinen Lager unweit dem unsrigen, wohin meine Patienten gebracht worden waren und wo man sie in die Baracken gesperrt hatte, die man dann anzündete. Auf den Photos kann man die halbverkohlten Leichen sehen"

zitiert aus Viktor E. Frankl...trotzdem Ja zum Leben sagen
Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager
Ungekürzte Ausgabe 1. Auflage September 1982
anm trotzdem und nein sind eines meina liebstn wörter da dt sprache
wertungen sind imma irgendwie ungerecht, dennoch das werk von frankl ist eines da wichtigstens als dokument der wahnsinnigen zeiten der nazjonalsozjalistishn gewaltherrschaft und des lebens übahaupt


"Gegen die kirchlichen Jugendverbände gingen die Nazis seit dem Frühsommer 1933 umfassend vor. Ende Dezember war es soweit: Reichsjugendführer von Schirach und «Reichsbischof» Ludwig Müller unterzeichneten das «Abkommen über die Eingliederung der evangelischen Jugend in die Hitler-Jugend». Ein Auszug: «Die Jugendlichen des Evangelischen Jugendwerks unter achtzehn Jahren werden in die HJ und ihre Untergliederungen eingegliedert. Wer nicht Mitglied der HJ wird, kann fürderhin innerhalb dieser Altersstufen nicht Mitglied des Evangelischen Jugendwerks sein . . .
Die gesamten Mitglieder des Evangelischen Jugendwerks tragen den Dienstanzug der HJ.
     Alltag in der Hitler-Jugend
Melita Maschmann beschreibt die «Inhaltslosigkeit» und «Langweiligkeit» des HJ-Betriebs.
«.. .da meine Eltern mir nicht erlaubten, Mitglied der Hitler-Jugend zu werden, wurde ich es heimlich. Für mich begann jetzt meine private <Kampfzeit>. was zunächst auf mich wartete, war eine bittere Enttäuschung, deren Ausmaß ich mir nicht einzugestehen wagte. Die Heimabende, zu denen man sich in einem dunklen und schmutzigen Keller traf, waren von einer fatalen Inhaltslosigkeit. Die Zeit wurde mit dem Einkassieren der Beiträge, mit dem Führen unzähliger Listen und dem Einpauken von Liedertexten totgeschlagen, über deren sprachliche Dürftigkeit ich trotz redlicher Mühe nicht hinwegsehen konnte. Aussprachen über politische Texte - etwa aus <Mein Kampf>- endeten schnell in allgemeinem Verstummen.
     In meiner Gruppe war ich das einzige Mädchen, das eine höhere Schule besuchte.
Die anderen waren Verkäuferinnen, Büroangestellte, Schneiderinnen und Dienstmädchen.
Mein Wunsch, in die Gemeinschaft der arbeitenden Jugend aufgenommen zu werden, hatte sich also erfüllt. Daß die Erfüllung eine schmerzhafte Enttäuschung war, erklärte ich mir folgendermaßen: Diese Mädchen entstammten dem Kleinbürgertum und blickten neidvoll auf die <höheren Töchter>, denen ich zu entrinnen trachtete. Sie waren nicht die Gefährtinnen, die ich suchte, nämlich Jungarbeiterinnen>. Der Ausdruck ist jetzt weniger gebräuchlich. Damals bezeichnete er die jungen Fabrikarbeiterinnen, von denen ich annahm, daß sie kein kämpferisches Klassenbewußtsein hätten, und um deren Abwerbung vom Kommunismus ich für die Volksgemeinschaft ringen wollte.
Ich hatte mich mit der <Arbeiterdichtung> beschäftigt und neigte dazu, diese Fragen zu romantisieren ...» Ich war das, was man ein <Märzveilchen> (spöttisch für jene, die vor dem für April angekündigten Aufnahmestopp schnell noch der Partei beitraten) nannte: Mein (zunächst heimlicher) Eintritt in die Hitler Jugend datierte vom 1. März 1933, und alle anderen Führungsstellen waren mit sogenannten <alten Kämpfern) besetzt. Sie zu respektieren und zu bewundern war ich fraglos bereit, aber in der Praxis ergaben sich Schwierigkeiten. Die wenigsten von ihnen gefielen mir. Eben weil ich ein Märzveilchen und noch dazu Oberschülerin war, behandelten sie mich mit Herablassung und ließen mich deutlich spüren, daß ich nicht zu ihnen gehörte. Sie waren zum Teil von einer peinlichen Grobschlächtigkeit und Primitivität und entsprachen - ich stellte es bekümmert fest - dem Bild, das meine Mutter von <Proleten> zu entwerfen pflegte.
Johanna, meine Untergauführerin ließ uns manchmal in Dreierreihen über den Kurfürstendamm marschieren und einen Teil der Strecke im Laufschritt zurücklegen. Dabei sollten wir möglichst laut trampeln. <Hier wohnen die reichen Juden>, sagte sie, die sollen ruhig mal ein bißchen im Mittagsschlaf gestört werden.
      «Und setzet ihr nicht das Leben ein» - Schulungsplan für Wehrertüchtigungslager
I. Unsere Feinde 1. Woche:
1. Schulungsstunde: Die Ursachen dieses Krieges
2. stunde: Das Judentum
3. stunde: Der Bolschewismus
4. stunde: Das anglo-amerikanische Weltherrschaftsstreben
5. Heimabend: Unser Freiheitskampf
II. Unsere Weltanschauung 2. Woche:
1.und 2. stunde: Der Rassengedanke
3. stunde: Das Volk
4. stunde: Fremdvolkpolitik
5. Heimabend: Gedenke, daß du ein Deutscher bist
3. Woche:
1. stunde: Unser Sozialismus
2. stunde: Persönlichkeit und Kampf
3. stunde: Rein bleiben und reif werden
4. stunde: Kamerad und Kameradin
5. Heimabend: Wer leben will, der kämpfe
III. Unser Führer 4. Woche:
1. stunde: Unsere Weltanschauung
2. und 3.stunde: Das Leben des Führers
4. Schulungsstunde:Das Werk des Führers
5. Heimabend:Führer und Gefolgschaft
5. Woche:
1. stunde: Die Geschichte der NSDAP
2. stunde: Aufbau und Aufgabe der NSDAP
3. stunde: Die Geschichte und Aufgabe der HitlerJugend
4. stunde: Die Leistung der Hitler-Jugend
5. Heimabend: Und setzet ihr nicht das Leben ein
IV. Unser Reich
6. Woche:
1. und 2.stunde: Der Kampf um das Reich
3. stunde: Der Kampf um den Osten
4. stunde: Das Reich als Aufgabe
5. Heimabend: Wir tragen und bauen das Reich
     Schulzucht bedenklich gelockert- HJ kontra Lehrerschaft
«Es ist selbstverständlich, daß die Autorität des Lehrers innerhalb der Schule die höchste Autorität sein muß», so Baidur von Schirach 1934. So «selbstverständlich» war das ganz und gar nicht. Kaum hatten die Nazis den Staatsapparat in Händen, begannen sie, die Autorität der Lehrerschaft zu untergraben. Im April 1933 wurde eine Generalamnestie für alle die Schüler erlassen, die aus «nationalen Beweggründen» gegen die Schulordnung verstoßen hatten:
Aber immerhin ist es etwas anderes, ob man einen Schüler tadelt, der außerhalb des Unterrichts eine Gefolgschaft führt, oder einen solchen, der eben nichts anderes als Schüler ist
Hier wird der Lehrer stets bestrebt sein müssen, die Autorität des HJ-Führers vor seinen Kameraden nicht unnötig herabzusetzen . . .
     Wie Schüler es anstellten, sich vor Hausaufgaben zu drücken, erzählt Erich Dressler:
«Das Paulsen-Realgymnaisum war ein ganz altmodischer Kasten. Für Führerparolen wie "Die Schulung des Charakters ist wichtiger als die Schulung des Geistes" hatten die Lehrer kein Verständnis. Sie löcherten uns mit Latein und Griechisch, anstatt uns Sachen beizubringen, die wir später gebrauchen konnten. Wir waren entschlossen, uns nicht von ihren überholten Ansichten beeinflussen zu lassen und sagten ihnen das ins Gesicht. Sie sagten zwar nichts dazu, denn sie hatten, glaube ich, ein bißchen Angst vor uns, aber sie änderten auch nicht ihre Lehrmethoden. So waren wir gezwungen, uns zu wehren.
Das war ziemlich einfach. Gab uns unser Lateinlehrer einen endlosen Abschnitt aus Cäsar auf, so übersetzten wir einfach nicht und entschuldigten uns damit, daß wir am Nachmittag Dienst in der Hitler-Jugend gehabt hätten.
Einmal nahm einer von den alten Knackern allen Mut zusammen und protestierte dagegen. Das wurde sofort dem Gruppenführer gemeldet, der zum Rektor ging und dafür sorgte, daß dieser Lehrer entlassen wurde. Der Gruppenführer war erst sechzehn, aber als Hitler-Jugendführer konnte er nicht dulden, daß wir an der Ausübung unseres Dienstes, der viel wichtiger als unsere Schulaufgaben war, gehindert wurden. Von dem Tag an war die Frage der Hausaufgaben geklärt. Hatten wir keine Lust dazu, dann waren wir eben (im Dienst) gewesen, und kein Mensch wagte, irgend etwas dagegen zu
sagen.»
     Die ideologische Befrachtung der Lehrpläne beschränkte sich dabei keineswegs auf traditionell rechtslastige Fächer wie Deutsch und Geschichte, gerade Mathematik und die Naturwissenschaften wurden ganz und gar in den Dienst der Partei gestellt. Einen Einblick, wie das konkret gemacht wurde, gibt eine Zusammenstellung einiger typischer Rechenaufgaben aus dem <Handbuch für Lehren. Mathematik im Dienste der nationalpolitischen Erziehung aus dem Jahre 1935:
«Aufgabe 44: Wieviel Kinder muß eine Familie haben, damit der zahlenmäßige Bestand des Volkes gesichert ist?
Aufgabe 95: Der Bau einer Irrenanstalt erfordert 6 Millionen RM. Wie viele Siedlungen zu je 15 000 RM hätte man dafür bauen können?
Aufgabe 97: Ein Geisteskranker kostet täglich etwa 4 RM, ein Krüppel 5,50 RM, ein Verbrecher 3,50 RM. In vielen Fällen hat ein Beamter täglich nur etwa 4 RM, ein Angestellter kaum 3,50 RM, ein ungelernter Arbeiter noch keine 2 RM auf den Kopf der Familie,
a) Stelle diese Zahlen bildlich dar. - Nach vorsichtigen Schätzungen sind in Deutschland 300000 Geisteskranke, Epileptiker usw. in Anstaltspflege;
b) Was kosten diese jährlich insgesamt bei einem Satz von 4 RM?;
c) Wieviel Ehestandsdarlehen zu je 1000 RM könnten -unter Verzicht auf spätere Rückzahlung - von diesem Geld jährlich ausgegeben werden.
     Ein moderner Nachtbomber kann 1800 Brandbomben tragen. Auf wieviel Kilometer Streckenlänge kann er diese Bomben verteilen, wenn er bei einer Stundengeschwindigkeit von 250 Kilometer in jeder Sekunde eine Bombe wirft?
Wieviel Meter sind die Einschläge voneinander entfernt. . .?
Wieviel Quadratkilometer können zehn derartige Flugzeuge in Brand setzen, wenn sie in seitlichen Abständen von fünfzig Metern fliegen?
Wieviel Brände entstehen dabei, wenn ein Drittel der Abwürfe Treffer sind und dann wieder ein Drittel zünden?»
     Besondere Aufmerksamkeit schenkten die Lehrplanautoren dem Fach Biologie, ließ sich hier doch, so glaubte man wenigstens, die Minderwertigkeit der Juden überzeugend nachweisen.
Was da im einzelnen verbreitet wurde, belegen einige Auszüge aus Aufsätzen, die im Fach «Rassenkunde» an der Hamburger Meisterschule für Mode im Kriegs jähr 1944 geschrieben wurden:
«25. April 1944
Wir bezeichnen die nordische Rasse als die wertvollste der uns artverwandten Rassen . . . Durch die edle Schönheit des nordischen Menschen hebt sich die Rasse unter den anderen noch sehr hervor.
(anm. die shönheit liegt wie die wahrheitn im auge des betrachtas)
Deshalb ist man darauf bedacht, gerade diese Rasse möglichst rein zu erhalten ... In Deutschland begegnet man dieser Gefahr des Herabsinkens der nordischen Rasse durch die Aufnordung, die man anfängt auszuführen, indem man Gesetze herausgegeben hat, wonach es verboten ist, daß sich reinrassige Menschen mit fremdrassigen mischen. Danach darf ein Arier keinen Juden heiraten oder einen Menschen, der einer artfremden Rasse angehört. Dieses wird in Deutschland durch die Nürnberger Gesetze verhindert.»
«2. Mai 1944
Wenn wir uns mit der Aufnordung befassen, denken wir nicht nur daran, den nordischen Menschen in seinem Äußeren, was Schönheit anbetrifft, zu erhalten, sondern es ist gerade auch hier besonders auf die geistigen Fähig- und Tätigkeiten zu achten. Der heldische, kämpferische Einsatz zeichnet den nordischen Menschen besonders aus. Während oft Menschen anderer Rassen das Leben als das Höchste ansehen, ist der nordische Mensch eher bereit zu sterben, als seine Ehre zu verlieren. Seine Natur ist bestimmt durch vorherrschendes Führertum, und der nordische Mensch ist frei und stolz. Die Arbeit bedeutet für ihn etwas Selbstverständliches, ohne die er sich sein Leben nicht denken kann.
(anm. "die kunst des müßiggangs")
Er ist stets darauf bedacht, seine Leistungen zu erhöhen. Nur aus solchen Menschen, die sich unterordnen und der Führung gehorchen, können selbst einmal Führende werden. Eine richtig ausgesprochen nordische Haltung finden wir bei unseren Soldaten vor . . .
«l2. Juni 1955
. . . 1935 wurde das Reichsbürgergesetz erlassen. Die staatsbürgerlichen Rechte stehen nur Staatsgenossen zu, die deutschen Blutes sind. Weiter wurde ein Gesetz herausgegeben zum Schütze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Ehe man einem Staatsgenossen die Reichsbürgerrechte gab, wurde er gefragt, ob er sich für den Staat rückhaltlos einsetzen und ihm dienen wolle.
Sagte der Staatsgenosse ja, war er Reichsbürger im Vollbesitz der politischen Rechte ...
Entzogen wurden die Rechte der Reichsbürger nur den Kommunisten und den staatsfeindlichen Elementen, vor allem aber den Juden. Diese sind nicht alle gleich zu werten und zu behandeln. Danach, wieviel jüdische Großeltern der einzelne hat, rechnet man und wertet sie danach ein.
Wer vier jüdische Großeltern hat, ist Volljude. Volljude ist aber auch der, der drei jüdische Großeltern hat. Wer zwei jüdische Großeltern hat, ist Mischling ersten Grades. Dieser ist nicht immer wehrwürdig, kann aber als wehrwürdig erklärt werden. Mischling zweiten Grades ist, wer nur einen jüdischen Großelternteil hat. Dieser ist als wehrwürdig zu betrachten und ist auch vom Staat wehrwürdig erklärt worden . . ."
     Heute Zögling, morgen Führer Wie die Nazis ihren Nachwuchs schulten
«Körperlich hart, charakterlich fest und geistig elastisch», so wünschte sich Adolf Hitler die deutschen Jungen für die «Nationalpolitischen Erziehungsanstalten» (Napola) - Ausleseschulen, die dem «Dritten Reich» eine stramme Führungselite für den Staat sichern sollten. «Glauben, Gehorchen, Kämpfen» lautete das Motto der Napola-Erziehung. Der Lehrplan ähnelte dem der herkömmlichen Oberschulen, im Gegensatz zu den Inhalten, die in den «Adolf-Hitler-Schulen» (AHS) vermittelt wurden. Sie waren in Konkurrenz zu den «Napolas» des Erziehungsministeriums eine Gründung der NSDAP und der HJ. In den «AHS» kam es nicht so sehr auf intellektuelle Weiterbildung an, hier erhielt durch politische Schulung der Parteinachwuchs seinen Schliff.
An den «AHS» gab es keine Zeugnisse, die Schüler bekamen nur eine Beurteilung für die Parteiakten. Hitler ordnete aber an, daß das Abschlußdiplom «seiner Schulen» dem Abitur gleichgesetzt wurde.
(anm was galt das Abschlußdiplom nach 1945?)
     Der Kruzifix-Streit
In der katholischen Bevölkerung wurde Protest laut. Nicht etwa, weil Schulkinder mit «arischer» Mathematik indoktriniert wurden oder Rassenkunde zum Hauptfach avancierte. Protestiert wurde, weil die «Ausrottung der christlichen Religionsgemeinschaften» drohte.
Was war passiert? In Oldenburg und Trier zum Beispiel, später auch in Bayern, war angeordnet worden, die Kruzifixe aus den Schulräumen zu entfernen, um Hitler-Bildern Platz zu machen.
Das Kruzifix mußte weichen. In mehreren Orten des Regierungsbezirks Trier drangen daraufhin die Einwohner gewaltsam in die Schulen ein und hängten die Kreuze an die alte Stelle zurück.
Für den Staatsanwalt Grund genug, Haftbefehl wegen Landfriedensbruch zu erlassen.
In Bayern war der Widerstand der katholischen Bevölkerung noch hartnäckiger.
Im Monatsbericht der fränkischen Gendarmerie-Station Ebermannstadt heißt es (Juni 1941):
«Der Erlaß des Staatsministers (für Unterricht und Kultur) Adolf Wagner in München über die gelegentliche Entfernung der Kruzifixe aus den Schulen hat in den katholischen Bevölkerungskreisen viel Staub aufgewirbelt und hat überall den schärfsten Widerstand ausgelöst.
Entfernt wurden bis jetzt keine Kruzifixe.»
     Der Kruzifix-Erlaß erregte die Bevölkerung mehr als der Einmarsch der deutschen Truppen in Rußland. Aus dem Monatsbericht des Gendarmerie-Kreisführers (Juni 1941):
«Wie anderwärts wurden auch im Landkreis Ebermannstadtweite Kreise der Bevölkerung durch die Maßnahmen des Führers gegen die Sowjetrepubliken sichtlich überrascht. . .
Wesentlich ernster ist dagegen die Mißstimmung einzuwerten, die der <Kruzifix-Erlaß> bei dem glaubenstreuen katholischen Landvolk auslöste. Vielleicht seit Jahren erschütterte keine staatliche Maßnahme bzw. Anordnung das Vertrauen so sehr, als dies hier geschah . . .
     Äußerungen des Inhalts, nun wisse man, wie der Wagen laufe, nun lasse man sich durch nichts mehr hinter das Licht führen, waren ungefähr noch das Mildeste, was zu hören war. In Ebermannstadt lief die Äußerung um, wer ein Kruzifix in der Schule antaste, dem müßten Hände und Füße wegfaulen. Ein Bauer in Moggendorf bei Hollfeld, der drei Söhne im Feld stehen hat, soll nach zuverlässiger Bekundung eines Gewährsmannes gesagt haben, es wäre ihm lieber, die drei Buben würden an der Front fallen, dann brauchten sie wenigstens nach dem Krieg in der Heimat die noch schlimmeren Religionsfehden nicht mitzumachen.
In Hochstahl, das in der Butterablieferung mit an erster Stelle stand, führte diese Maßgabe schlagartig zu einem starken Rückgang der Butterabgabe, so daß diese Gemeinde fast an letzter Stelle sich nunmehr befindet.
     Hauptlehrer und Ortsgruppenleiter Bittel in Drosendorf bei Ebermannstadt erklärte, es sei auf dem Lande für den Lehrer praktisch unmöglich, diesen Erlaß zu vollziehen, da er sich damit in seiner Gemeinde für immer unhaltbar machen würde. Nicht nur, daß er wirtschaftlich boykottiert würde, es bliebe ihm forthin auch jedes Vertrauen versagt. Ebenso bekundeten verschiedene Landbürgermeister, daß sie lieber ihr Ehrenamt niederlegen, als an der Beseitigung des Kruzifixes mitzuwirken. Der NSV-Kreisamtsleiter Becher, Ebermannstadt, sah sich zur Meldung des Rückgangs der Sammelergebnisse veranlaßt, vertraulich die Anweisung zu geben, von der Entfernung der Kruzifixe in den Schulen Umgang zu nehmen. So ist praktisch der Erlaß nicht nur unwirksam geblieben, sondern dem Vollzug stellten sich Schwierigkeiten entgegen, die jedenfalls noch lange nachwirken werden. . ,
Der massenhafte Protest zahlte sich aus: Noch im selben Jahr wurde der Kruzifix-Erlaß klammheimlich zurückgenommen.
(anm, also war´s doch nicht nur so, daß die menschn gar nix zu meldn hattn und nur befehle von obm ausführen konntn)
     Auf in die Geburtenschlacht
«Was der Mann an Opfern bringt im Ringen eines Volkes, bringt die Frau an Opfern im Ringen um die Erhaltung dieses Volkes in den einzelnen Fällen. Was der Mann einsetzt an Heldenmut auf dem Schlachtfeld, setzt die Frau ein in ewig geduldiger Hingabe, in ewig geduldigem Leid und Ertragen. Jedes Kind, das sie zur Welt bringt, ist eine Schlacht, die sie besteht für das Sein oder Nichtsein ihres Volkes.» Mit diesen Worten skizziert Adolf Hitler die Grundidee der NS-Familienpolitik.
     Wie sah die Realität aus? Einen Einblick in das nationalsozialistische Ideal von Ehe und Familie geben Zeitungsanzeigen jener Jahre. Zwei Beispiele:
«Witwer, 60 Jahre alt, wünscht sich wieder zu verheiraten mit einer nordischen Gattin, die bereit ist, ihm Kinder zu schenken, damit die alte Familie in der männlichen Linie nicht ausstirbt.»
Hamburger Fremdenblatt, 5. Dezember 1935
«Zweiundfünfzig Jahre alter, rein arischer Arzt, Teilnehmer an der Schlacht bei Tannenberg, der auf dem Lande zu siedeln beabsichtigt, wünscht sich männlichen Nachwuchs durch eine standesamtliche Heirat mit einer gesunden Arierin, jungfräulich, jung, bescheiden, sparsame Hausfrau, gewöhnt an schwere Arbeit, breithüftig, flache Absätze, keine Ohrringe, möglichst ohne Eigentum.» Münchner Neueste Nachrichten, 25. Juli 1940
     Seit Sommer 1933 erhielten Jungverheiratete ein zinsloses Darlehen von durchschnittlich 600, höchstens 1000 Reichsmark - viel Geld, wenn man bedenkt, daß ein Industriearbeiter etwa 120 RM im Monat nach Hause brachte. Für jedes Kind wurde die Darlehensschuld um ein Viertel gekürzt.
Nach der Geburt des vierten Kindes wurde aus dem Darlehen ein Geschenk.
Bevor die Behörden die Ehestandsdarlehen auszahlten, erkundigten sie sich zum Beispiel bei Gesundheitsämtern, Schulärzten, den Wohlfahrtsstellen zur Betreuung Geisteskranker und natürlich in der Partei. Zwischen August 1933 und Januar 1937 bestanden etwa 700000 Ehepaare, das sind etwa 25 Prozent der Hochzeitspaare in diesem Zeitraum, die Prüfungen ihrer wirtschaftlichen, politischen und eugenischen Eignung.
Bis 1938 wurden eine Million Ehestandsdarlehen im Wert von 650 Millionen Reichsmark in Gutscheinen ausgegeben, die zum Kauf von Haushaltseinrichtungen und Möbeln berechtigten. Wegen des Andrangs wurde das Darlehen auf 500 Mark begrenzt.
    Abtreibung ist «Sabotage»
Bereits ab Mai 1933 verschärften die Nationalsozialisten die gesetzlichen Bestimmungen, um die Zahl der Abtreibungen kräftig zu senken, jene «Sabotageakte gegen Deutschlands rassische Zukunft». Alle Kliniken für Geburtenkontrolle wurden geschlossen. Die Zahl der gerichtlichen Verfahren wegen Abtreibung stieg von 4 539 im Jahre 1934 auf 6 983 vier Jahre später. Ärzte, die eine Abtreibung vorgenommen hatten, wurden mit Gefängnis bis zu fünfzehn Jahren verurteilt.
     Hilfswerk für Schwangere
Für die «förderungswürdige, erbtüchtige, hilfsbedürftige deutsche Familie» bot das Hilfswerk «Mutter und Kind» der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) soziale Maßnahmen an.
Neben der «seelischen Betreuung» der Schwangeren durch monatliche politische Plauderstunden im überschaubaren Familienkreis wurden Ernährungsbeihilfen, Plätze in Mütterheimen und Kindertagesstätten sowie Haushaltshilfen für kinderreiche Familien geboten, doch mangelte es an Hilfskräften, um das Fürsorgesystem überall zu realisieren. - Nach eigenen Angaben beriet das Hilfswerk 1935 600000 Schwangere.
     Alljährlich am 12. August, dem Geburtstag von Hitlers Mutter, wurden kinderreiche Mütter mit dem «Ehrenkreuz der deutschen Mutter» ausgezeichnet. Es wurde in drei Klassen verliehen:
in Bronze für vier und mehr Kinder, in Silber für mehr als sechs und in Gold für über acht Kinder. Inschrift des Mutterkreuzes: «Das Kind adelt die Mutter».
    Die Frankfurter Zeitung meldete am 6. Januar 1937: «Wie die Reichskammer der bildenden Künste mitteilt, hat das Rassenpolitische Amt der NSDAP die Bemerkung gemacht, daß in der Öffentlichkeit vielfach Darstellungen aus unserer Zeit auftauchen, die bildlich oder sinnbildlich die deutsche Familie bedauerlicherweise noch mit einem oder zwei Kindern zeigten.
Der Nationalsozialismus bekämpfe mit Nachdruck das Zwei-Kinder-System, da es das deutsche Volk unrettbar dem Untergang zuführe
. Er vertrete die Forderung nach mindestens vier Kindern in jeder Familie, um die heutige Bevölkerungszahl wenigstens zu halten. Wo immer die künstlerischen Notwendigkeiten es erlauben - und das werde in der Mehrzahl der Fälle möglich sein -, solle auch der bildliche Künstler, besonders der Maler und Gebrauchsgraphiker, sich das Ziel setzen, im Rahmen der künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten wenigstens vier deutsche Kinder zu zeigen, wenn eine <Familie> dargestellt werde.»
    1938 legte die Reichsregierung ein Scheidungsreformgesetz vor, nach dessen Bestimmungen als Scheidungsgründe anerkannt werden konnten: Ehebruch, Nachwuchs Verweigerung, unehrenhaftes und unmoralisches Betragen, Geisteskrankheit, ernste ansteckende Krankheit, dreijährige Trennung der Ehepartner und Unfruchtbarkeit (außer in Fällen, in denen vorher ein Kind gezeugt oder adoptiert worden war).
gefunden in "Alltag unterm Hakenkreuz Wie die Nazis das Leben der Deutschen veränderten
Ein aufklärendes Lesebuch" von Harald Focke/Uwe Reimer
© 1979 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 580-ISBN349914431X
Die Rechte der Zeichnungen von Kurt Halbritter (aus: «Adolf Hitlers Mein Kampf») liegen beim Hanser Verlag, München


"Mein Vater war Landarzt in einem Dorf in Oberösterreich. Ich war zehn Jahre alt, als 1938 Soldaten Hitlers einmarschierten und Österreich zu seinem Großdeutschen Reich kam. Ich war elf Jahre alt, als Hitlers Soldaten in Polen einfielen und der zweite Weltkrieg begann.
     Als ich zur Schule ging, lehrte man mich, das deutsche Volk sei eine Herrenrasse.
Es gäbe auch minderwertige Rassen, sagte man mir. Juden seien die Feinde des deutschen Volkes, sagte man mir, daher gehörten sie vernichtet. Meine Eltern waren keine Nationalsozialisten.
Sie glaubten nicht, daß es Herrenrassen und minderwertige Rassen gäbe. Meine Eltern lehrten mich, daß Freiheit und Würde des Menschen in jeder Diktatur bedroht sind.
     Einer unserer Verwandten wohnte in Mauthausen, jenem Ort an der Donau, wo die Nationalsozialisten eines ihrer großen Konzentrationslager errichtet hatten.
Menschen wurden dort gequält und ermordet, nur weil sie Gegner der Hitlerdiktatur waren, oder weil sie Juden waren, oder weil sie einem der Völker angehörten, gegen die Hitler kämpfte.
Unser Verwandter hat das Konzentrationslager nie betreten dürfen, aber was er von außen sah, war schrecklich genug. Er hat es uns erzählt.
      Wieviele Menschen in Hitlers Konzentrationslagern ermordet wurden, erfuhren wir erst nach dem Krieg: 6 Millionen, davon 4,5 Millionen Juden.
Im letzten Kriegsjahr trieben Hitlers Soldaten auf ihrem Rückmarsch viele Juden aus dem Osten nach Deutschland und Österreich. Das Konzentrationslager Mauthausen wurde zu klein.
Auffanglager wurden errichtet. Eines dieser Lager befand sich in einem Wald, in der Nähe unseres Dorfes. Das wurde geheimgehalten. Wir wußten nichts davon.
     1945 kam das Ende der Hitler-Diktatur. 55 Millionen Menschen hatten sterben müssen. Im Frühjahr 1945 marschierten amerikanische Truppen in Oberösterreich ein. Sie öffneten die Tore des Waldlagers. Keiner der Befreiten kam weit. Sie waren todkrank, fast verhungert. Mein Vater errichtete in einem Barackenlager ein Notspital. Drei der befreiten Juden, Ärzte aus Budapest, halfen ihm dabei ...
     In dem niedrigen Raum war es dunstig. Die Kranken mußten durstig sein. Ich lief in die Küche und holte einen Krug mit dem dünnen, schwachen Kaffee ohne Zucker und füllte die Becher neben den Betten. Nur zwei der Männer dankten, aber vielleicht waren die anderen zu müde oder zu schwach. Michael, der Student, sagte „danke" und auch der Mann, der Imre hieß. Er hatte ein trauriges, eingesunkenes Gesicht und eine dünne Nase. Wenn er zu lächeln versuchte, wurde sein Gesicht noch trauriger. Trotzdem gefiel es mir, wenn er lächelte.
Ich schob das Kissen des Jungen zurecht. „Wie heißt du?" fragte ich. Er antwortete nicht. (Fast alle Kranken verstanden deutsch, aber es gab einige, die nur ungarisch oder polnisch oder rumänisch sprachen.) „Verstehst du mich?" Er nickte.
„Sag mir deinen Namen!" bat ich.
Das gelbe, blasse Gesicht blieb ausdruckslos. Ich wollte ihm über das Haar streichen, aber kaum hob ich meine Hand, hielt er den mageren Arm vor sein Gesicht und vergrub es in dem strohgefüllten Sackleinwandkissen. Ich setzte mich zu ihm und sagte: „Hab doch keine Angst", aber er hörte nicht auf zu zittern und wurde erst wieder ruhig, als ich fortging.
Ich suchte Dr. Noht, und er sagte: „Ich weiß den Namen des Jungen nicht. Er selbst weiß ihn auch nicht." „Aber seine Eltern?"
     „Seine Eltern? Sie sind tot. Er kam als kleines Kind in ein Lager. Ein Lager polnischer Kinder. Er ist ein Pole. Mehr weiß man nicht." Niemand hatte dem Jungen gesagt, wie er hieß. „Das ist nicht wahr!" stieß ich hervor. Dr. Noht nahm die Brille ab und reinigte die Gläser umständlich mit dem Taschentuch. „Es ist wahr", antwortete er, ging fort und ließ mich stehen.
Niemand hatte den Jungen jemals mit einem Namen gerufen!
Als ich meine Hand auf sein Haar legen wollte, hatte er sich gefürchtet.
Er hatte geglaubt, es sei eine neue, noch unbekannte Art, ihm wehzutun.
     Ich hatte mittags keinen Hunger und ging erst spät am Abend heim.
Seit ich im Lager arbeitete, liebte ich mein Bett. Ich liebte es auch an diesem Abend.
Und ich wußte nun, warum. Es war kühl, sauber und rein. Es war wie eine Zuflucht vor dem Elend und der Armut der Baracken. Ich streckte mich aus und strich mit den Fingerspitzen über die glatten weißen Tücher. Durch das Fenster konnte man den Himmel sehen: Sterne, Mond, Wolken oder nur Dunkelheit, je nachdem. Ich hörte das Fallen der Tropfen auf den klaren Wasserspiegel des kleinen Brunnens im Garten. Der Wind bewegte die Blätter der Bäume, und unser Hund lief über die Kieswege. Als ich schon fast eingeschlafen war, kam mein Vater und setzte sich an mein Bett.
Ich erzählte von dem Jungen, der seinen Namen nicht wußte. Sein Bett sollte auch bald so weiß überzogen sein wie meines. „Warst du schon beim Kommandanten?"
„Nein, Christi, morgen ..." Ich sagte: „Vergiß nicht darauf, Papa!"
     Er küßte mich und ging wieder. Ich stellte mir Imre und Michael und den Jungen ohne Namen in weißen Hemden in weiß überzogenen Betten vor, ich stellte mir alle Kranken in weißen Betten vor, und das Lager verwandelte sich, war nicht mehr arm und nicht mehr häßlich
zitiert aus geh heim und vagiß alles von Käthe Recheis
3. AUFLAGE © HERDER & CO., WIEN 1980, 1981, 1982
DIE ERSTE FASSUNG DIESES BUCHES ERSCHIEN 1964 UNTER DEM TITEL „DAS SCHATTENNETZ"
anm da krieg is vorbei, aba nicht aus

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